Großes Kopfkino, ein herrlicher Ausflug in die Duftwelt und der Kampf um einen Traum

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elke seifried Avatar

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„Anouks Nase war immer wach, ob auf Blumenwiesen oder Firmengeländen, Kosmetikgeschäften, Märkten oder in fremden Häusern.[…] Ihre Mutter versuchte seit Jahren vergeblich, ihr diese Marotte auszutreiben. Jeder Duft ist vergänglich, das wusste Anouk, doch dieser im Gare du Nord würde in ihrem Gedächtnis bleibende Spuren hinterlassen. Ein Willkommensgeschenk, das ihr Paris machte. Bienvenue.“, gilt als Anouk mit ihrer Mutter in Paris am Bahnhof ankommt und dieser Duft wird der zu der Zeit Vierzehnjährigen tatsächlich nicht mehr aus der Nase gehen. Wird Anouks großer Wunsch Parfümeurin werden zu können, auch wenn die Aussichten alles andere als gut sind? „Ihrer Mutter gegenüber hatte sie nur ein einziges Mal erwähnt, dass sie davon träumte, als Parfümeurin arbeiten zu dürfen. »Was für ein Hirngespinst«, hatte Isabell erwidert. »Man braucht Geld, um sich als Parfümeurin selbstständig zu machen, und die edlen Marken sind alle in den Händen von alteingesessenen Familien.“?

Als Leser darf man nun mit Annouk an der Verwirklichung dieses Traumes basteln, muss dabei viel Geduld haben und zahlreiche Rückschläge einstecken, kann mit ihr aber auch die Chance ergreifen, als sie durch Zufall Stéphane Girard, den Sohn einer Parfumdynastie, kennenlernt, diesen von ihrer feinen Nase überzeugen kann und der sie mit nach Grasse nimmt. Viel will ich von dort gar nicht mehr verraten, nur so viel vielleicht noch, auch dort wird es ihr nicht leicht gemacht und außerdem gibt es ein Familiengeheimnis, das alles auf den Kopf stellt. Von diesem erfährt man während man Annouk auf ihrem Weg begleiten darf in zwischengeschobenen Abschnitten, die nach und nach Licht ins Dunkel bringen und dabei auch den Aufstieg des Parfümhauses Girard beleuchten.

Die Autorin hat mich von der ersten Seite ab mit ihrem bildhaften, emotionalen und mitreißenden Erzählstil in ihren Händen gehabt. Ich hatte das Gefühl mit Anouk und ihrer Mutter kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris am Bahnhof anzukommen, konnte mit ihr die Enttäuschungen spüren, immer wenn ihr Traum zu scheitern drohte, habe mit ihr unter Intrigen gelitten und habe sie oft auch für ihren Mut und ihr beharrliches Festhalten an ihren Zielen bewundert. Fast selbst mit meiner Nase folgen konnte ich so auch dem Ausflug in die Duftwelt, was bei mit sehr zur Wohlfühl-Atmosphäre beim Lesen beigetragen hat. Interessant fand ich auch den kleinen Einblick in die Ausbildung und Arbeit einer Parfümeurin zu der Zeit.

„Sie war eine junge Frau mit einem ausgeprägten Dickschädel, das sollte ihre Mutter nie vergessen“, Annouk, die authentisch, echt und liebenswert ist eine junge Frau, die mir ganz schnell ans Herz gewachsen ist und mit der ich gern mitgefiebert habe. Und nicht nur sie, sondern auch alle anderen Darsteller konnten mich in ihrer Vielfalt, ihrer realistischen Zeichnung überzeugen und wohl ganz im Sinne der Autorin mehr oder weniger für sich einnehmen, bei Jean-Paul, der zunächst so abweisend wirkt, dann aber schnell Herzen gewinnen kann, angefangen über Vivienne, der ich am liebsten Gift gegeben hätte, wenn sie Annouk solche missgünstigen Äußerungen wie, »Und ich rate dir auch, die Nase nicht zu hoch zu tragen. Eine Apothekertochter aus der Rue de Seine mit den Ambitionen einer Coco Chanel. Das ist lachhaft. Du hast weder die Größe noch das Talent, und dir fehlt der familiäre Hintergrund. Mach dir keine Hoffnungen darauf, dich bei uns einzunisten.«, um die Ohren haut, bis hin zur kleinen Rolle der Roseline, der der Profit über alles geht.

Ich habe teilweise gelesen, teilweise gehört, hier hätte ich aber auf die Textvorlage, um in einzelnen Szenen und damit in die Handlung tiefer abtauchen zu können, getrost verzichten können, denn die Sprecherin versteht ihr Handwerk ganz hervorragend. Dagmar Bittners mir äußerst angenehme Stimme hat mich von der ersten Sekunde an völlig in der Geschichte versinken lassen. Sie hat allen Charakteren, das passende Leben eingehaucht, hat jedem sein ganz eigenes Profil verliehen und hatte stets genau den passenden Tonfall und die nötige Emotionalität in ihrem Vortrag, um die Atmosphäre der einzelnen Szenen nicht nur gekonnt zu transportieren, sondern vielmehr noch besonders herauszustellen.

Alles in allem ein emotional, spannender Ausflug in die Grasser Duftwelt, der mit einer liebenswerten Hauptdarstellerin und einem einnehmenden Schreibstil überzeugen kann. Von mir gibt es daher liebend gerne ein fünf Sterne Empfehlung, ganz besonders auch für die Hörbuchversion.