Anspruchsvoll

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nataliegoodman Avatar

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Alon Hilus "Das Haus der Rajanis" ist einer der ungewöhnlichsten Romane, die ich seit langem  gelesen habe. Der Autor lässt den Leser ins Palästina des ausgehenden 19. Jahrhunderts eintauchen. Dabei verwendet er eine sehr pompöse Sprache, die heutzutage (genauso wie die abweichende Satzstellung) eher ungebräuchlich ist. So hat es ein bisschen gedauert, bis ich mich eingelesen habe. Doch dann haben sich Sprache und Geschichte wunderbar zu einem Gesamtwerk ergänzt, zumal - nach Angaben im Vorwort - die Ausdrucksweise aus der handelnden Zeit wohl ziemlich authentisch ist.

Der Leser trifft zunächst auf zwei unterschiedliche Protagonisten. Da ist zum einen der jüdische Auswanderer Isaac, der eine unerfüllte Ehe mit seiner Frau Ester führt. Zum anderen ist da Salach, ein arabischer Junge mit blühender Fantasie, der Geschichten schreibt und depressiv zu sein scheint. Beide Ich-Erzähler treffen zufällig aufeinander und nach dem ursprünglichen Sichtkontakt läd Salachs Mutter Afifa Issak zu sich nach Hause ein - eben in das titelgebende Haus der Rajanis. Isaac wird eine Art Vaterfigur für Salach und beginnt mit Afifa eine heimliche Affaire. Doch in beiden Beziehungen treten bald Komplikationen auf, die sich zu handfesten Dramen entwickeln...

Auch wenn nicht extra gekennzeichnet wird, welcher Abschnitt von dem Jungen und welcher von dem Mann erzählt wird, kommt keine Verwirrung auf. Es ist immer eindeutig, wer gerade spricht. Interessant ist es, ein und dasselbe Ereignis aus beiden Perspektiven zu sehen - die Erzählungen sind da mitunter sehr anders. Da fragt man sich, ob Isaac seine Erzählungen in seinem Tagebuch beschönigt, um besser vor sich selbst dazustehen, oder ob Salachs Fantasie mit ihm durchgeht und er die Dinge drastischer schildert, als sie sind. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Besonders spannend ist es auch, wenn einer die Welt des anderen durch seine Augen betrachtet und beschreibt, beispielsweise wenn Salach das jüdische Viertel besucht. So bekommt man einen interessanten Einblick, was ruhig noch öfter hätte passieren können. Die immer wieder eingesträuten arabischen Begriffe geben dem Ganzen noch eine weitere Dimension.

Insgesamt eine fesselnd erzählte Geschichte, die den beginnenden Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina, dem heutigen Israel, aufgreift und über die Einzelschicksale von Isaac und Salach betrachtet. Da das ganze sehr aus der persönlichen Sicht der beiden erzählt wird, ist natürlich die Frage, wie allgemeingültig alles ist. Auch wenn die Geschichte über 100 Jahre in der Vergangenheit liegt, ist sie nach wie vor brandaktuell.