Hochspannung in dichter Atmosphäre

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brigitta Avatar

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Inhalt:
Eleanor wuchs als Waisenkind bei ihrer Großmutter Vivianne auf und bis heute trifft sie Vivianne sonntags zum Essen.
Doch als Eleanor zum gewohnten Essen kommt, liegt Vivianne sterbend am Boden und der Täter läuft ihr direkt in die Arme.
Eleanor stand dem Täter von Angesicht zu Angesicht gegenüber, aber trotzdem kann Eleanor sein Aussehen nicht beschreiben, sie leidet unter einer Gesichtserkennungsschwäche und kann noch nicht mal das Gesicht ihres Freundes Sebastian in einer Menge identifizieren.
Nach Viviannes Tod erbt Eleanor den luxuriösen Gutshof Solhöga, dessen Existenz ihr bis dahin unbekannt war.
Neugierig fährt sie mit Sebastian, ihrer Tante Veronika und einem Notar auf das Gut Solhöga.
Auf Solhöga angekommen beginnt Eleanor immer mehr an ihren Wahrnehmungen zu zweifeln und die Personen um sie herum scheinen vieles zu verbergen.
Der Notar führt seltsame Telefonate, die eiskalte Veronika versteckt sich verängstigt in einer fensterlosen Kammer und unterstellt Eleanor einen Diebstahl und der Gutsverwalter ist spurlos verschwunden.
Als Eleanor auch noch nachts angegriffen wird, ist es eigentlich für sie Zeit abzureisen, doch ein Schneesturm fesselt alle an das Gut und sie sind nicht alleine ...


Fazit:
Ich mag Camilla Stens Art atmosphärisch dicht zu erzählen. Der Aufenthalt im Gutshaus Solhöga glich einer Gefangenschaft, der ich nur entkommen konnte, wenn ich das Buch bis zur letzten Seite lese.
Nicht nur die Figuren waren in das Netz aus alter Schuld und Geheimnissen eingewoben, Camilla Sten hat es geschafft auch mich, die Leserin, tief in dieses Netz zu ziehen.
Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, im Heute von Eleanor und in den 60er Jahren aus Sicht von Annuschka, einer Bediensteten Viviannes, die der Willkür ihrer Arbeitgeber gnadenlos ausgeliefert war.
Wir kennen Schweden oft nur durch Nachrichten über die liberale schwedische Politik und aus Berichten über das weltoffene Volk, dass jeden duzt.
Was aber hinter dem duzen steckt, wissen die wenigsten Menschen aber erklärt viel über die Vergangenheit Schwedens.
Bis in die 70er Jahre hinein duzte sich in Schweden nur das "einfache Volk" untereinander, die förmliche Anrede an der Arbeit oder im gesellschaftlichen Umgang war höchst kompliziert.
Höher stehende Persönlichkeiten wurden in der dritten Person mit der Nennung ihres Titels oder vollen Namen angesprochen.
Wir würden also dem Bundeskanzler in einer Begegnung mit "Wie geht es dem Bundeskanzler?" ansprechen. Der Bundeskanzler dürfte uns gegenüber das Du verwenden, aber müsste uns auch in der dritten Person ansprechen.
Eine direkte Ansprache gab es für hierachieübergreifende Begegnungen einfach nicht. Diese strengen Regeln galten sogar innerhalb der Familien, da die Eltern höher standen als die Kinder galt für die Kinder eine indirekte Ansprache mit Nennung des Titel oder vollen Namens.
Man war also irgendwie immer damit beschäftigt einzuordnen ob das gegenüber höher oder niedriger gestellt war, um keine Regeln in der Ansprache zu verletzen.
Auf Dauer war dies natürlich sehr kompliziert und nach der gesellschaftlichen Revolution der 60er Jahre für die nachfolgenden Generationen auch nicht mehr zeitgemäß.
Aber an dieser Anekdote wird erkennbar, dass noch vor 50 Jahren in Schweden ein ausgeprägtes Standesdenken und eine starke persönlich Unnahbarkeit vorherrschte.
Diese kleine Geschichte erklärt auch vieles an Viviannes Persönlichkeit und was Annuschka erleiden musste.
So ist der Thriller nicht nur eine spannende Unterhaltung sondern auch ein interessanter Streifzug durch die schwedische Gesellschaft.
Ich mag es sehr, wenn mir ein Krimi mehr bietet als eine Leiche und einen Ermittler.
Dieses "mehr" habe ich in "Das Haus der stummen Toten" auf jeden Fall geboten bekommen.