Liebe und Geheimnisse im kolonialen Malaya

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miriam Avatar

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Im Jahr 1947 sitzt Lesley auf der Veranda ihres Hauses in Südafrika. Eines Tages erreicht sie ein Päckchen aus Penang in Malaya, dass ein Buch des Schriftstellers William Somerset Maugham enthält. Als sie das Buch öffnet, kehren die Erinnerungen zurück: an ihr Leben in Penang und die Zeit im Jahr 1921, als Willie Maugham und sein als Sekretär getarnter Geliebter zwei Wochen lang bei ihr und ihrem Mann Robert zu Gast waren.
Anfangs begegnet Lesley dem Schriftsteller mit Misstrauen, doch allmählich beginnt sie, sich ihm zu öffnen. Sie berichtet von ihrer unglücklichen Ehe, ihrer heimlichen Liebesbeziehung zu einem chinesischen Mann elf Jahre zuvor und ihrer Unterstützung chinesischer Aktivisten, die die alte Kaiserdynastie stürzen wollten. Auch das Schicksal ihrer Freundin Ethel, die 1910 wegen Mordes vor Gericht stand, wird in ihren Erinnerungen lebendig.
Das Buch entführt die Leser:innen in die britische Kolonialzeit von Malaya, dem heutigen Malaysia. Das koloniale Leben bestand aus Dinnern, Empfängen und gesellschaftlichen Veranstaltungen; man verfügte über Bedienstete und genoss zahlreiche Annehmlichkeiten. Dennoch war das Leben für viele Ehefrauen eintönig und geprägt von unglücklichen Ehen – was sich auch in der eher ruhigen Erzählweise widerspiegelt.
Lesley versucht immer wieder, ihre männlichen Gesprächspartner auf die Situation der Frauen aufmerksam zu machen: auf ihre Ungleichbehandlung und Unterdrückung.
Die Lage der Männer, die ihre Homosexualität nicht offen leben konnten und dadurch auch ihre Ehefrauen ins Unglück stürzten, hätte ausführlicher beleuchtet werden können. Denn während Männer trotz gesellschaftlicher Normen ihr Leben, auch mit einem Geliebten, weitgehend ungehindert gestalten konnten und es auch selbstverständlich taten, waren Frauen erheblich stärker eingeschränkt, wenn sie Männer außerhalb der Ehe trafen. Ob diese unterschiedliche Gewichtung bewusst gesetzt wurde oder nicht, bleibt im Text offen. Die herabblickende Einstellung gegenüber Frauen mag zwar dem damaligen Zeitgeist geschuldet sein, liest sich aber aus heutiger Perspektive befremdlich.

An einigen Stellen hätte die Handlung gestrafft werden können, etwa bei den detaillierten Landschaftsbeschreibungen und den sich wiederholenden Zeugenbefragungen. Ein Glossar zur Erklärung der im Text verwendeten chinesischen und malaiischen Begriffe sowie eine Übersetzung des französischen Gedichts wären ebenfalls hilfreich gewesen.
Der Aufbau des Romans ist insgesamt sehr gelungen, und die Figuren basieren auf historisch belegten Persönlichkeiten. Am Rande erfährt man Wissenswertes über Chinas Geschichte und über Sun Yat-sen, den Revolutionär und Staatsmann, der in Penang Zuflucht suchte. Besonders gefallen hat mir, wie sich die Geschichte entfaltet und wie geschickt die Handlungsstränge miteinander verwoben sind. Ebenso gelungen ist, wie sich Stück für Stück aus Lesleys Erinnerungen das Schicksal Ethels herauskristallisiert. Das offene Ende, das dezent andeutet, wie es weitergehen könnte, fand ich sehr schön.
Trotz der Einschränkungen ein gelungener Roman.