Industrialisierung im Schnelldurchlauf

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wolfgangb Avatar

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WARNUNG: Da in dieser Rezension Spoiler enthalten sind, ist es ratsam, erst das diskutierte Buch zu lesen.



Nun ist es also so weit, die "Draconis Memoria"-Reihe von Anthony Ryan erlebt ihren feurigen Abschluss.
Wer die dritte Etappe dieser Reise antritt, sollte mit den drei Hauptfiguren Clay, Lizanne und Hilemore bereits etliche Seemeilen absolviert haben und sich an möglichst viele Details ihrer zahlreichen durchlebten Abenteuer erinnern. "Imperium aus Asche" sollte also nicht ohne das Vorwissen aus den Bänden "Das Erwachen des Feuers" und "Das Heer des weißen Drachen" aufgeschlagen werden. Selbst mit der Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Hauptfiguren im Gepäck, gestaltet sich der Beginn etwas sperrig. Die Geschichte ist weniger als ein wendiger Flugdrache, sondern vielmehr ein behäbiges Dampfschiff, das eine Weile braucht, um seine Öfen aufzuheizen und Fahrt aufzunehmen. Hat es sich aber erst in Bewegung gesetzt, ist es nicht mehr aufzuhalten. Wie es sich für eine Fantasy-Geschichte gehört, endet sie mit einer gewaltigen Schlacht, in der beide Seiten alle Ressourcen und taktischen Winkelzüge aufbieten. Der Sieg in dieser Schlacht ist ein endgültiger, wer hier gewinnt, wird die Zukunft der Welt bestimmen.

Obwohl Drachen (und vor allem deren Blut) die Welt der Geschichte maßgeblich bestimmen, finden sich erfrischende Elemente aus anderen (Sub-)Genres. Die sich stetig entwicklende Industrialisierung riecht ölig nach Steampunk, und die entdeckerische Neugier, mit der Autor und Figuren unbekannte Landstriche erkunden, könnte aus einem Abenteuerroman stammen.

Dass von verdeckten Operationen und lautlosem Anschleichen in den Schatten - Zuständigkeit von Lizanne Lethridge - nur mehr wenig zu verspüren ist, zeugt von der zunehmenden Zuspitzung: Die Zeit des Spionierens ist vorbei, nun muss Lizanne ein Heer in die offene Schlacht führen.

Die obligate Entwicklung der Figuren ist weitgehend abgeschlossen. Jede von ihnen biegt auf ihrem individuellen Weg in die Zielgerade ein, um sich schließlich für das Finale aufzustellen.

Claydon "Clay" Torcreek ist der Luke Skywalker der Geschichte: Vom einfachen Straßenbuben lernt die Bürde seiner Verantwortung als Blutgesegneter zu tragen, um schließlich seine Bestimmung in der Rettung der Welt zu finden. (Im Zusammenhang mit einer Geschichte diesen Ausmaßes darf auch der salbungsvolle Begriff "Bestimmung" strapaziert werden.) Von Beginn der Trilogie an versprach der Autor die Konfrontation Clays mit dem weißen Drachen - wenig überraschend löst er dieses Versprechen ein. Lizanne wird ihrem Beinamen "Miss Blut" gerecht, ihr Name am Kopf eines Kapitels kündigt üblicherweise Action an. Corrick Hilemore, vom Leutnant zum Kapitän eines Kriegsschiffes aufgestiegen, stellt so etwas wie das militärische Rückgrat der Heldenriege dar.

Die interessanteste Figur steht ihnen gegenüber: Sirus Akiv wurde vom weißen Drachen unterworfen und fungiert als strategisches Hirn. Während er es als spannende intellektuelle Herausforderung empfindet, als uneinnehmbar geltende Städte mit einer Armee aus Drachen und extrem widerstandsfähigen und disziplinierten Verderbten zu erobern, regt sich ein letzter Funken Menschlichkeit in ihm. Von seinen Zweifeln getrieben, wagt er subtilen Widerstand.

Die eigentliche Entwicklung findet nicht unter den Figuren statt, sondern ist technologischer Natur. So nistet sich Lizanne mit ihrer Schiffsbesatzung aus Flüchtlingen auf einer Pirateninsel ein und stampft dort eine Waffenfabrik aus dem Boden. Unter größtem Zeitdruck werden Kriegsgeräte entwickelt und in der Massenproduktion einer Fertigungsstraße erzeugt. Dass die entwickelten Technologien später durchaus auch für zivile Zwecke weiter genutzt werden können, ruft das Wort vom Krieg als "Vater aller Dinge" ins Gedächtnis.

" 'Wir nennen es den thermoplasmischen Motor', erklärte er und beobachtete aufmerksam, wie sie reagierte. 'Ein, zwei Phiolen Rot sind genug, um dieses Schiff auf einen Affenzahn zu bringen, und das ist nichts im Vergleich zu manchen anderen.'
'Bemerkenswert', murmelte Kriz, doch ihr Blick verfinsterte sich, als er auf die hintere Kanonenbatterie fiel. 'So viele Errungenschaften und trotzdem führt ihr noch Kriege.' (S. 99)

In einer von Drachen bevölkerten Welt vollzieht Anthony Ryan also die Industrialisierung im Schnelldurchlauf. Damit setzt er das Thema der beiden Vorgängerbände, den Gegensatz von Magie und Wissenschaft, konsequent fort. Die Superkräfte der Blutgesegneten können immer noch den Ausgang von Schlachten entscheiden, doch das dazu erforderliche Drachenblut wird rar. Die Erfindungen des Bastlers, Bomben, Raketen und Artillerie tragen verniedlichende Namen wie Heuler, Beißer, Knallfrosch und Schwärmer und sorgen in entscheidenden Momenten für den Überraschungseffekt. Das Töten wird abstrakt, die Opfer einer Massenvernichtungswaffe werden zu nüchternen Zahlen. Durch neue Fluggeräte können die Menschen den Kampf auch in der Luft führen und damit Waffengleichheit mit den Drachen herstellen. Dem Autor gelingt es, die Spannung derart auf die Spitze zu treiben, dass man sich beim Lesen über jedes neue Mordinstrument im Arsenal freut. Die Gegner sind menschenfressende Bestien und entmenschlichte, entbehrliche Truppen. Mit etwas Abstand stellt man erschrocken fest, dass die Mittel der Propaganda, mit denen ein jeder Krieg in der eigenen Zivilbevölkerung gerechtfertigt wird, auch im beim Leser ihre Wirkung entfalten.

Will der Autor aber in mächtigen Bilder Partei in jener Diskussion ergreifen, in der Wissenschaft und Religion gegeneinander positioniert werden?

Die Skizze einer Antwort ist in der Auflösung zu finden: Ein letztes Mal muss Clay mit seiner Gruppe aus erfahrenen Drachenjägern einen abgeschiedenen Kontinent durchqueren, in dessen Herzen auf dem Grunde eines Sees ein verschollenes Artefakt zu finden ist, das die entscheidende Wendung im Krieg bringen soll. Die Menschen müssen also Grenzen überschreiten, wagen, was noch nie gewagt wurde, dort suchen, wo noch nie gesucht wurde. Dieses Bild könnte man durchaus als die Erforschung des Unbewussten verstehen, wo man sich letztlich vor einem Spiegel findet. Und was immer auch die Figuren sich von der Expedition erhoffen, ein magisches Schwert, einen mächtigen Zauber - ihre Erwartungen werden nicht erfüllt. Das Artefakt entpuppt sich als ein Kristall, in dem uralte Erinnerungen gespeichert sind. Es handelt sich also um ein Speichermedium, und jene Wunderwaffe das die gepanzerten Schuppen des weißen Drachen zu durchdringen vermag, ist das Wissen um seine Entstehung.

Letztlich ist dieser ein Geschöpft der Menschen, das nun seinerseits seine Schöpfer unterwirft. Anthony Ryan setzt auf einen Erzähltopos, der zuverlässig für Gänsehaut sorgt. Der Forscher in blindem Ehrgeiz wird die Geister nicht mehr los, die er rief. Die Natur kann nicht unterworfen werden und findet einen Weg, sich durchzusetzen. Anders als etwa in "Jurassic Park" inszeniert der Autor hier keinen Überlebenskampf, in dem urtümliche Bestien ihren Platz in der Fressordnung beanspruchen. Tatsächlich ist Freiheit die wahre Triebkraft, die Menschen, Drachen und sogar Verderbte teilen. Wissenschaft und Magie sind nicht notwendigerweise einander ausschließende Gegensätze. Auf These und Antithese folgt die Synthese:

Das erworbene Wissen versetzt Clay in die Lage, ein Bündnis mit den schwarzen Drachen zu schmieden, der vierten Gattung neben roten, grünen und blauen. Im Gegensatz zu ihren andersfärbigen Artgenossen weigern sich die Schwarzen, sich vom weißen Drachen unterwerfen zu lassen. Letztlich gelingt es auch den Verderbten, sich aus der Knechtschaft des Weißen zu befreien, sodass der (Pyrrhus-)Sieg ein Ergebnis dieser Allianz, angetrieben von dem Drang nach Selbstbestimmung ist.

Persönliches Fazit

Die "Draconis Memoria"-Trilogie, die mit diesem Band ihren Abschluss findet, ist eine Geschichte über Veränderung. Eine Welt, die von der Magie des Drachenblutes lebt, erfährt eine langsame Industrialiserung und wird nach den Bedürfnissen eines aufkeimenden Kapitalismus' geformt. Der plötzlich hereinbrechende Krieg fordert effizientes Handeln. Dadurch beschleunigt er die Massenfertigung von Waffen und ersetzt zugleich demokratische durch streng autoritäre, hierarchische Strukturen. Wo diese Ordnung nicht hergestellt werden kann, kippt die Gesellschaft in die Anarchie. In "Das Imperium aus Asche" unterstreichen Revolten und ein drohender Bürgerkrieg in einer isolierten Hafenstadt das Grundthema des Umbruchs noch zusätzlich.

"In Zukunft werden die Schiffe sicher mit Schiffsschrauben fahren, so wie die 'Überlegenheit'. Wir stehen am Anfang eines neuen Zeitalters, Kapitän. Wollen wir hoffen, dass wir es noch erleben, was?" (S. 410)