Entschleunigend

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
rebeccawinter Avatar

Von

Der Ullstein-Verlag hat dieses schöne Buch in einem sonnengelben Hardcover mit Lesebändchen veröffentlicht. Der Schutzumschlag zeigt zu einem Dreiviertel strahlend blauen Himmel, die grünen Wiesen Irlands und in der Mitte eine einzelne Wolke hinter Strommasten. Damit ist die Gesamtgestaltung nicht nur sehr ansprechend, sondern auch passend zum Roman gewählt. So etwas macht mir immer schon Freude, zeigt die Wertschätzung des Verlags für Autor und Roman und gehört für mich zu einem Leseerlebnis unbedingt dazu.
Aus der Sicht des mittlerweile 78-jährigen Noel Crowe werden die Ereignisse im Jahr 1958 erzählt, als er mit 17 Jahren sein Priesterseminar verlässt, zu seinen Großeltern in das abgelegene Dörfchen Faha zieht und dort die Bekanntschaft mit Christy, einem Angestellten für die endlich vorgesehene Elektrifizierung, macht.
Es wird versucht alte Wunden der Liebe zu heilen und das Wunder der ersten Liebe wird erfahren. Man lernt die Bewohner von Faha kennen, ihre Scheu vor dem Neuen und ihre Lebensklugheit.
Der Autor Niall Williams, geboren in Dublin, erzählt dies auf eine ganz ureigene, irische Art mit viel Humor und Augenzwinkern.
Das Tempo, der Takt oder auch die Sprachmelodie, die sich durch das Buch zieht, entspricht der irischen Mentalität wie ich sie während meiner Kindheitsjahre in den 60er Jahren dort kennenlernte.
Das Wetter ist von zentraler Bedeutung, dabei ist es aber immer lovely, egal wie arg es schüttet. Alles geht seinen Gang – und der kann auch morgen sein. Das alles mit einer zurückhaltenden, aber tief empfundenen Herzlichkeit. Genau wie im Roman und daher empfinde ich auch die geschilderten Menschen als so authentisch.
Noel Crowe sagt von sich, er erzählt die vergangenen Ereignisse „barock“. An dieses schnörkelige muss sich mancher vielleicht gewöhnen. Es geht oftmals „von Hölzchen auf Stöckchen“, der Handlungsfaden ist nicht geradlinig, sondern hoppelt gemütlich dahin. Dabei habe ich die viele der langen, teils verschachtelten Sätze mit ihrer Lebensphilosophie mehrmals gelesen. Das langsame Fortschreiten der Geschichte mit wundervollen Formulierungen ist ein herrliches Mittel zum Entschleunigen.
Nicht vom Spannungsbogen getrieben von Seite zu Seite hasten, sondern Glück finden im genießerischen Lesen – das ist der Anteil an Glück, den das Buch dem Leser offeriert.
Wer Sprache liebt, Geschichten mag und bereit ist sich auf ein anderes Tempo einzulassen, der wird an diesem Buch seine Freude haben.
Ich liebe es!