Kein gewöhnlicher Roman über Alzheimer

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mrsamy Avatar

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Ruth steht mit 30 Jahren in der Blüte ihres Lebens, doch leider steht gerade dieses eben Kopf. Jahrelang war sie glücklich mit Joel liiert, zuletzt sogar verlobt. Doch nun hat er eine andere und hat Ruth sitzenlassen. Weil sie nicht weiß, wohin sie sonst soll, verbringt sie die Weihnachtsfeiertage bei ihren Eltern. Ihr Vater – ein geachteter und erfolgreicher Professor an der hiesigen Uni – leidet an Alzheimer. Noch steht die Krankheit am Anfang, doch Howard darf bereits jetzt nicht mehr lehren. Zu oft schon hat er Seminare vergessen, Tageszeiten oder Orte vertauscht. Ruths Mutter, die als Vertretungslehrerin arbeitet, ist mit der Situation überfordert, und bittet Ruth kurzerhand, „nur dieses eine Jahr“ bei ihnen zu bleiben. Ruth entschließt sich, auch, weil sie gerade eh nichts anderes vorhat, wieder zu ihren Eltern zu ziehen. Und so nimmt ein in vielerlei Hinsicht besonderes Jahr seinen Lauf.

Rachel Khong legt mit ihrem Roman „Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte“ ein ungewöhnliches Buch vor, das sicherlich nicht jedem gefallen dürfte. Ungewöhnlich ist vor allem ihre Umsetzung der Auseinandersetzung mit dem Thema Alzheimer. Ihr Roman kommt in Tagebuchform daher, die Kapitel (einzelne Tage, später auch Monate) sind zumeist sehr knapp gehalten, oftmals enthalten sie „Schnappschüsse“ von Dingen, die Ruth im Laufe ihres Tages passiert sind oder die sie etwa bei einem Spaziergang gesehen hat. Emotional geht Ruth dabei kaum in die Tiefe und doch werden alle Empfindungen meiner Meinung nach extrem gut transportiert. Da ist die große Achtung vor ihrem Vater, die aber tiefe Risse bekommen hat durch seine Alkoholsucht und seine Affären. Da ist die Liebe zu ihrer besten Freundin Bonnie und auch zu ihrer Mutter, für die sie nicht immer so da war, wie es für eine Tochter sicherlich angemessen gewesen wäre. Denkt Ruth an ihr eigenes Leben und ihre nicht vorhandenen Pläne, so spürt man deutlich ihre Unsicherheit.
Wie ein roter Faden zieht sich die Alzheimer-Erkrankung von Howard durch die gesamte Handlung. Von Monat zu Monat treten Ereignisse ein, die das Fortschreiten der Krankheit verdeutlichen. Ruth erschrickt davor, aber sie schreckt nie vor ihrem Vater zurück. Sie hält zu ihm, ist für ihn – auf ihre Weise – da. Dabei analysiert sie die Krankheit nicht, auch nicht, was das zunehmende Vergessen mit ihrem Vater bzw. mit ihrer ganzen Familie macht. Immer wieder hält das Buch amüsante Momente bereit, wobei diese nie verletzend sind, eben weil Ruth ihre Familie sehr liebt, auch wenn sie sich dessen manchmal gar nicht bewusst ist.

Für mich ist „Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte“ ein äußerst gelungener Roman, den ich sehr gerne weiterempfehlen möchte. Wer sich eine „tiefere und ernsthaftere“ Auseinandersetzung mit dem Thema Alzheimer wünscht, dem möchte ich Lisa Genovas Roman „Mein Leben ohne Gestern“ sehr ans Herz legen.