Roman mit Herz

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naraya Avatar

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Nur ein Jahr, das nimmt sich Ruth vor. Nur ein Jahr will sie nach der Trennung von ihrem langjährigen Verlobten Joel wieder zuhause bei den Eltern einziehen. Bei ihren Mutter Annie und ihrem Vater Howard, der an Alzheimer leidet. Es wird ein schwieriges Jahr für Ruth werden, mit all den Höhen und Tiefen, die man als Angehöriger bei so einer heimtückischen Krankheit durchleben muss.

Es ist eine Geschichte über einen Familienalltag, der sich zunehmend ändert. Von ärztlichen Untersuchungen oder Krankenhausaufenthalten ist hier nur wenig die Rede. Die Autorin schildert nur nebenbei, was Alzheimer medizinisch für einen Menschen bedeutet; es geht in "Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte" eher um das ganz Private. Um die Erinnerungen, die nach und nach verschwinden, die bösen Worte, die man sich an den Kopf wirft, die verzweifelten Versuche, die man unternimmt, um einen Prozess aufzuhalten, der sich nun mal nicht aufhalten lässt.

Rachel Khong schreibt sehr nah am Geschehen, dennoch wirken die Worte zum Teil recht distanziert. So als wäre es ein anderer Vater, der all das erlebt, nicht der Vater der Protagonistin selbst. Überhaupt ist das Verhältnis der beiden kompliziert geworden. Während der jüngere Bruder den Vater in all seiner Schwäche erlebt hat, der Alkoholsucht und der Affäre mit einer anderen Frau, war Ruth zu diesem Zeitpunkt schon von zuhause ausgezogen. Was das alles mit der Familie angestellt hat, darüber hat sie sich bisher kaum Gedanken gemacht. Nun, wieder in ihrem Elternhaus, ist sie gezwungen, sich all dem zu stellen. Besonders für Mutter und Bruder ist die Situation jedoch beinahe unerträglich: wie kann man jemandem seine Verfehlungen nachtragen, der sich nicht einmal mehr daran erinnern kann?

Es ist interessant zu sehen, wie sich der Sprachstil der Handlung nach und nach verändert. Howard hatte stets Tagebuch geführt, als Ruth noch klein war. Liebevoll, aber in Stenografieform hielt er fest, was er mit seiner Tochter erlebt hat: die kleinen Situationen, in denen er ihr die Welt erklärte, die Momente, in denen sie ihn zum Lachen oder zum Nachdenken brachte. Und vor allem die Augenblicke, in denen ihm bewusst war, dass seine Kleine ihn irgendwann verlassen wird. Am Ende ist es Ruth, die auf dieselbe Art und Weise das Leben ihres Vaters dokumentieren wird, mit all den Rückschritten und all den lichten Momenten. Es ist, als hätten beide die Rollen getauscht, sowohl was die Handlung als auch, was die Sprache betrifft.

Obwohl der Roman nicht im Detail auf die Krankheit Alzheimer eingeht und obwohl hier viel Alltägliches beschrieben wird, hat er mich dennoch berührt. Denn der Autorin gelingt es einzufangen, wie sich das Leben aller Beteiligten ändert - und zwar nicht nur das des Erkrankten, sondern gerade das eines gesamten Umfeldes. Wenn Howards Studenten ein ganzes Seminar für ihn erfinden, nur damit ihr Professor das Gefühl hat, weiterhin nützlich zu sein und unterrichten zu dürfen, dann geht das schon sehr ans Herz. Dafür kann ich der Handlung auch verzeihen, dass sie im Prinzip nur einen Ausschnitt der ganzen Geschichte zeigt.

Fazit: Ein Roman ohne große Vorkommnisse, dafür aber mit Herz