Berührende Ost-West-Geschichte

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In Büchners Drama „Woyzeck“ erzählt die Großmutter ein Märchen von einem Kind, das allein durch die Welt geht, „alles tot“. Es sucht die Sonne, den Mond und die Sterne und findet, als es näher kommt, nur totes Holz, eine verwelkte Sonnenblume und goldene Mücken. Und die Erde nur ein umgestürzter Topf. In Constanze Neumanns Buch spielt das Mädchen, um das es geht, in einer Woyzeck-Aufführung eines der Kinder, denen die Großmutter das Märchen erzählt. Das erhoffte Paradies hat die Familie des Mädchens aus der DDR im Westen nicht gefunden.

Neumann hat ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen in eine literarische Form gebracht. Sie erzählt von den Eltern, die an ihrem „Leben rissen und entschieden, das Land zu verlassen“. Nach einem misslungenen Fluchtversuch werden die Eltern verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Das Kind kommt nach kurzem Aufenthalt im Kinderheim zu den Großeltern. Nachdem die Bundesrepublik die Eltern freigekauft hat, wird auch das Mädchen endlich aus der Staatsbürgerschaft „entlassen“ und darf zu den Eltern, die neue Wurzeln suchen. Das Kind hat seine Sicherheit verloren, es lebt im Dazwischen. Die Eltern reden oft von der alten und nun unerreichbaren Heimat Leipzig, von der Haft, die die Mutter krank gemacht hat, und wollen sich anpassen, so sehr, dass sich der Vater seinen sächsischen Tonfall mühevoll abtrainiert.

„Es waren viele Geschichten, sie wurden wieder und wieder erzählt, um die anderthalb Jahre in Worte zu fassen – Unglück, Angst, Schmerz und Verzweiflung“. Das neue Leben muss einfach gut werden nach all den Strapazen und dem Leid. Das Mädchen liebt die Märchenbücher aus dem Osten und die Playmobilfiguren im Westen. So richtig zuhause ist sie nicht. Irgendwann kann sie nicht mehr von einer Welt in die andere schlüpfen.

Eine berührende Ost-West-Geschichte, in beinahe sachlichem Ton erzählt, der den Schmerz aber nicht verstecken kann. Constanze Neumann war bis vor Kurzem Verlegerin des Aufbau-Verlages. Auch ihre Mutter Eva Maria Neumann hat sich die Flucht-Geschichte von der Seele geschrieben: „Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit“, so der Titel.