Berührender, melancholischer Roman über eine außergewöhnliche Männerfreundschaft

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gluexklaus Avatar

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Hans hat es geschafft, er hat den Kilimandscharo bestiegen und hofft nun endlich, mit seiner Vergangenheit abschließen zu können. Doch viel Zeit, in sich zu gehen und und die atemberaubende Landschaft in Ruhe zu genießen, bleibt ihm nicht. Denn am Rande des Kraters hat der Bayer Tscharlie bereits sein Lager aufgeschlagen. Und der ist ganz schön laut, penetrant, grob, ungehobelt und teilt politisch völlig unkorrekte Ansichten. Eine alles andere als ideale Reisebegleitung! In der folgenden beängstigenden Nacht mit Schneesturm können sich die beiden Männer allerdings nicht aus dem Weg gehen und sind unfreiwillig aufeinander angewiesen. Diese Erfahrung schweißt zusammen, danach fühlen sich beide miteinander verbunden. Schließlich unternehmen die zwei gemeinsam sogar eine Reise und Tscharlie zeigt Hans „sein Afrika“. Dabei lernen sich die ungleichen Männer immer besser kennen und erleben am Ende eine unvergleichliche Freundschaft, die genauso intensiv wie kurzlebig ist. Denn nichts währt ewig und schon gar nicht das Leben....

Matthias Politycki hat einen ganz eigenen Schreibstil, besonders, interessant, aber nicht unbedingt flüssig, manchmal eher „unbequem“. In der ersten Hälfte des Buchs tat ich mich deshalb ziemlich schwer, in den Roman hineinzufinden. Der „Knoten platzte“ dann, als Tscharlie immer mehr von sich und seinem Leben preisgab. Da „hatte“ Politycki mich! Wie Hans entwickelte auch ich beim Lesen nach und nach einen besonderen Bezug zu Tscharlie, der trotz seiner rauhen Schale ein sehr empfindsamer „tiefsinniger“ Mensch ist, und damit schließlich auch zum Roman selbst.

„Die Weiber san was Wunderbares, Hansi. Es sei denn, sie san grad ganz schrecklich“, erklärt Tscharlie. Irgendwie ging es mir mit Tscharlie da ganz ähnlich. Wenn er nicht gerade ganz „schrecklich“ war, indem er provozierte und laut und taktlos lospolterte, fand ich ihn ganz wunderbar. Dieser so vielschichtige, ambivalente Charakter Tscharlie zeichnet den Roman aus, in ihm zeigt sich Polityckis ganze Erzählkunst. Hans hingegen macht es dem Leser einfacher, er ist nachvollziehbarer, mit ihm lässt es sich viel leichter identifizieren. Hans stellt Tscharlies Gegenpol dar, wirkt sympathisch, ruhig und besonnen, aber vor allem anfangs etwas spröde. Dass auch Hans in Afrika ein Trauma zu verarbeiten hat, macht ihn schließlich greifbarer und zugänglicher. Der Leser und Tscharlie fühlen sich von Hans Erzählungen über die schrecklichen vergangenen Erlebnisse tief betroffen und kommen ihm dadurch emotional näher. Am Ende hatte ich das Gefühl, selbst Teil dieser Freundschaft geworden zu sein, so intensiv habe ich die Schritt für Schritt gewachsene besondere Beziehung der beiden Männer miterlebt.

Viel passiert in diesem ruhigen Roman nicht, entscheidende Teile der Handlung fanden bereits in der Vergangenheit statt und werden dann in Gesprächen lediglich zusammengefasst und verarbeitet. Trotzdem kommt keine Langeweile auf, am Ende war ich traurig, dass alles schon vorbei sein sollte. Ich hätte der Freundschaft der beiden noch mehr Zeit gewünscht. Aber immerhin ist sie gewesen und immerhin hatte ich das Glück, diesen tiefgründigen, atmosphärischen Roman für mich entdeckt zu haben und an Tscharlies und Hans tiefer Verbundenheit und ihren Lebensweisheiten teilhaben zu dürfen. Diese Lese-Erfahrung kann mir keiner nehmen: Komisch, traurig, berührend, aufwühlend, melancholisch und vor allem zum Schluss hin von beeindruckender Erzählkraft.