Massensterben in Mexiko

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torsten_ohne_h Avatar

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Leider komme ich erst heute zum Rezensieren, denn das Buch erreichte mich, während ich verreist war. Außerdem war ich nicht auf einen 800-Seiten-Wälzer gefasst. Gelohnt hat es sich auf jeden Fall, obwohl man sich fragen muss: warum eigentlich? Denn in dem Buch wird von vorn bis hinten eigentlich nichts anderes als gefoltert, gemordet, hingerichtet und gestorben. Man hört irgendwann auf mitzuzählen, wieviele Todesfälle man detailliert geschildert bekommt und wieviele beiläufig erwähnt werden. Selbst von den Hauptfiguren überlebt schlussendlich kaum jemand. Dank seines Stils, der ohne Schnörkel auskommt und selten mehr als einen Nebensatz braucht, packt der Don Winslow auch noch weit mehr auf eine Seite als die meisten seiner Schriftstellerkollegen. Gleich zu Beginn schockt eine zweiseitige Namensliste von im Zeitraum der Handlung des Buches in Mexiko real ermordeten oder verschwundenen Journalisten.
Vergleiche zum Vorgänger "Tage der Toten" kann ich nicht ziehen, denn dieser ist mir noch unbekannt, aber mit dem lockeren "Kings of Cool" oder den kürzlich im Playboy veröffentlichten Texten hat "Das Kartell" nur wenig gemein. "Der Pate" ist ein Kinderbuch/-film dagegen, auch die Thriller von Tom Clancy und anderen (die allerdings meistens in Kolumbien spielen) sind vergleichsweise harmlos. Das reizvolle, aber auch nicht wirklich neue Motiv von zwei alten Freunden, die vor Jahrzehnten zu Todfeinden wurden und sich nun gegen gemeinsame neue Feinde zusammentun müssen, gerät leider genauso in den Hintergrund wie der Versuch eines der Drogenbosse, durch geschicktes Taktieren letztlich a la "Shogun" alles an sich reißen zu wollen. (Natürlich verrate ich hier nicht, ob ihm das gelungen ist.) Alles verblasst gegenüber den detaillierten Schilderungen der Brutalitäten, in einer eventuellen Verfilmung fließt wahrscheinlich so viel Blut, dass die besten Vampire nicht mithalten könnten!

Wenn man meinen Text liest, könnte man glatt meinen, ich würde das Buch verreißen wollen. Aber das stimmt absolut nicht, denn alle oben genannten Kritikpunkte können nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich um einen Thriller handelt, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Was mich am meisten daran schockiert hat: die wenigen Nachrichten, die uns aus Mexiko gelegentlich erreichen, lassen befürchten, dass es in der Realität dort tatsächlich genau so abgeht wie in Don Winslows Phantasie.