Anspruchsvoll und nachdenklich machend

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Die arme Rie hat in ihren noch recht jungen Jahren schon die härte des Lebens kennenlernen müssen. Umso härter trifft sie der nächste Schicksalsschlag: Der Tod ihres Mannes Daisuke raubt ihr nicht nur Geborgenheit, denn als sich nach dessen Ableben herausstellt, dass dieser Mann gar nicht Daisuke war, ist das Unverständnis groß. Wer war der Mann, der sich den Namen und die Vergangenheit von Daisuke zu eigen gemacht hat?
Rie bittet ihren ehemaligen Anwalt Akira Kido um Hilfe. Während sich nach und nach die Dinge klären, hängt Kido dann selbst an der Frage fest, ob man ein Leben einfach tauschen kann und ob die eigene Geschichte einen selbst ausmacht...

"Das Leben eines anderen" ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt.
Autor Keiichirō Hirano serviert dem Leser keine einfache Kost; es werden Themen wie Tod, Verlust, Schuld und Stolz angesprochen und so drapiert, dass man nicht drumherum kommt darüber nachzudenken.
Diese schwermütigen Themen werden gekonnt in die Geschichte von "sein" und "nicht mehr sein wollen" eingewoben und wirken nicht deplatziert, erschweren aber einen schnellen Lesefluss, da man den Roman immer mal wieder kurz in den Schoß sinken lässt um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen..

"Durch das Leben des Anderen komme ich an mein eigenes Leben heran. Ich kann über Dinge nachdenken, über die ich nachdenken sollte. [...] Es ist so, wie ich schon gesagt habe, als würde ich einen Roman lesen und beim Lesen auch meinem eigenen Schmerz begegnen."
(Seite 263)

...mit diesem Zitat unterstreicht Hirano selbst genau jenes Gefühl, das mich beim Lesen überkam. Diese Aussage ist eine jenen, die genial und alles unterstreichend platziert sind.

Doch neben dem Gefühl beim Lesen steht natürlich die Geschichte selbst im Raum.
Als Leser ist man natürlich neugierig, was aus Taniguchi Daisuke wurde. Wer war der Mann, der sich für ihn ausgab? Was wurde aus dem echten Daisuke? Wie kam das alles zustande?
Dies geht Kido auf dem Grund.
Es ist interessant zu lesen welchen Verlauf das alles nahm und nimmt. Aber im Vordergrund stehen tatsächlich Gedanken und Gefühle.

Hervorheben möchte ich noch, dass "Das Leben eines anderen" sehr stark an die japanische Kultur und teilweise auch Geschichte gebunden ist.
So ist es im japanischen Raum beispielsweise geläufig bei Vorstellungen den Nach- vor den Vornamen zu setzen. In einigen Büchern wurde dies schon "verwestlicht", hier blieb es getreu geschrieben.
Auch sind die Japaner ein Volk voller Respekt, Höflichkeit und Ansehen - für Leser, die dies nicht wissen, dürfte sich Hiranos Roman anders lesen, als der Autor wahrscheinlich beabsichtigt.
Das soll keinesfalls abschrecken, mir persönlich gefällt es sehr und ich habe das Fenster zu einer anderen Kultur sehr genossen, aber es sollte einem vielleicht bewusst sein um das Buch wirklich wertschätzen zu können.
Ebenso ist, wie erwähnt, ein wenig japanische Geschichte und Politik eingeflossen. Ich selbst musste erstmal Google befragen, was gemeint ist, wenn Protagonist Kido immer mal wieder erwähnt dass er Zainichi in dritter Generation ist. 😅 Bildung schadet aber nie. 😉

Alles in allem ist Keiichirō Hirano's "Das Leben eines anderen" ein besonderes Werk, das aber sicherlich nicht für jeden etwas ist, da es einen gewissen Anspruch fordert. Dennoch würde ich Interessenten und die, die neugierig geworden sind, dennoch auf die Lektüre loslassen. 🙂