Der Makel der Vergangenheit

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josetta Avatar

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Wenn ich die ersten Seiten von „Das Leben eines Anderen“ mit einem Wort beschreiben sollte, fällt mir spontan nur „Sanft“ dazu ein.
Ganz behutsam, fast federleicht, führt uns Keiichiro Hirana in die Lebensgeschichte von Taniguchi Daisuke ein, die mich augenblicklich in ihren Bann zog. Mag sein, dass hierbei auch die asiatische Verhaltenskultur eine Rolle spielt. So anders, so fremd und doch unglaublich faszinierend, wenn wir Leser, gemeinsam mit dem Scheidungsanwalt Akira Kido, den Spuren einer vertauschten Identität folgen. Kido braucht Monate, um hinter Taniguchis Geheimnisse zu kommen. Im Zuge seiner Ermittlungen gerät er selbst in den Sog dieser Möglichkeit. Er wird schonungslos mit den Scherben seiner Ehe konfrontiert und muss rassistische Verletzungen ertragen. Würde ein Identitätstausch alle diese Probleme mit einem Schlag lösen? Ein psychologisch hochspannender Roman, der auch uns Leser bittere Wahrheiten ums Ohr haut und zum Nachdenken zwingt. Wie verhalten wir uns, wenn wir auf einen Menschen mit bedenklicher Vergangenheit treffen? Verurteilen wir ihn, nur aufgrund seiner Herkunft und seinen Lebensumständen? Würden wir ähnlich reagieren, wenn wir nichts von seinem früheren Leben wüssten? Hat nicht jeder Mensch sein eigenes kleines Glück verdient? Der „Makel der Vergangenheit“ wurde grandios aufgearbeitet und von Hirana in einen wundervollen Roman verpackt. Es ist ein stilles Werk, durchaus mit einem wohldosierten Spannungsbogen. Aber die meiste Lesezeit über blicken wir auf die inneren Empfindungen der Protagonisten und zwar schonungslos. Ich wurde dabei richtig bereichert, denn in einer Kultur, die nur wenig offen gezeigte Gefühle zulässt, sind solche Erläuterungen bestimmt als Rarität anzusehen.
Ich danke Hirana für diesen behutsamen, jedoch ziemlich nachdrücklichen Roman. Ich spreche eine absolute Leseempfehlung aus und bewerte „Das Leben eines Anderen“ mit 5 Sternen.