Guter Ansatz!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
mike nelson Avatar

Von

"Das Leben eines anderen" von Keiichirō Hirano - ein Roman, der nachdenklich macht und den ich - gerade wegen seiner zuweilen sehr nüchternen Erzählweise - noch über viele hunderte von Seiten hätte weiterlesen können. Ein Identitätstausch als der zu recherchierende Fall ist als Rahmenhandlung (siehe Klappentext) eine gut funktionierende Schablone für einen vielschichtigen Exkurs über existenzielle Fragen des Menschseins. Scheidungsanwalt Kidos Nachforschungen für eine ehemalige Klientin - deren verstorbener zweiter Mann war nicht der, der er hatte vorgegeben zu sein - werden auch zu einem Nachforschen in eigener Sache: War er selbst eigentlich noch glücklich mit seiner Familie, oder wünscht er sich vielleicht selbst, zumindest hin und wieder, in ein anderes Leben hinein? Braucht die Liebe eine verlässliche und aktenkundige Identität des Partners, oder ereignet sie sich nicht vielmehr unabhängig von der wirklichen Vergangenheit der Liebespartner? Und ist die eigene Vergangenheit, die dem anderen erzählte Lebensgeschichte, nicht stets Konstruktion und kann somit auch immer wieder umkonstruiert werden? Verliert die Liebe also an Wert, wenn man erfährt, dass der Liebespartner eine andere Identität angenommen und uns damit wohl offensichtlich 'belogen' hat? So fragt sich Kidos Klientin am Ende, ob sie ihren Mann gleichermaßen geliebt hätte, wenn sie von Beginn an von seinem Identitätstausch gewusst hätte. Und Kido stellt für sich fest: "Durch das Leben des Anderen komme ich an mein eigenes Leben heran. Ich kann über Dinge nachdenken, über die ich nachdenken sollte. Aber einfach so, direkt, kann ich das nicht." Ein guter Ansatz und ein lesenswertes Buch.