Wie sehr kann man sich ändern?

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aischa Avatar

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"Es gibt kein richtiges Leben im falschen" - dieses Zitat des Philosophen Theodor W. Adorno ist hinlänglich bekannt, wenn auch oft sehr frei interpretiert. Der preisgekrönte, hierzulande noch weitgehend unbekannte, japanische Bestsellerautor Keiichirō Hirano stellt im vorliegenden Roman ebenfalls philosophische Betrachtungen an, die grundlegendste könnte in etwa lauten: "Gibt es ein richtiges Leben nach dem falschen?"

Die Geschichte beginnt dramatisch: Eine junge Witwe erfährt anlässlich des ersten Todestages ihres verstorbenen Gatten, dass dieser unter falscher Identität gelebt hatte. Er war nicht derjenige, für den er sich ausgegeben hatte, doch wer war er dann gewesen? Wen hatte sie geliebt? Ein von der Witwe beauftragter Anwalt begibt sich auf Spurensuche und stößt dabei auf ein kriminelles Netz aus Menschen, die sich eine neue Identität zulegen wollen, solchen, die ihre eigene verkaufen und Identitätsbrokern, die ein Geschäftsmodell daraus gemacht haben, Angebot und Nachfrage zusammen zu führen. Und die Nachfrage ist vielfältig, ganz so wie auch die Gründe, aus denen man in Japan das Gesicht verlieren kann und davon bedroht ist, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden.

Überdies erfährt man viel von den Verwerfungen, mit denen Japan in der Vergangenheit - der Roman spielt im Jahr 2012 - zu kämpfen hatte: die tiefgreifende Verunsicherung durch den Tsunami und den dadurch verursachten Reaktorunfall in Fukushima, oder Rassismus gegenüber den Zaichini, der koreastämmigen Minderheit, die auch in dritter Generation und mit japanischer Staatsangehörigkeit noch angefeindet wird.

Hirano erzählt dies alles bemerkenswert ruhig und zurückhaltend, und dabei nicht weniger eindringlich. "Das Leben eines Anderen" ist bislang sein einziger ins Deutsche übersetzte Roman, es bleibt zu hoffen, dass sich dies bald ändert.