"Der Stand der Dinge in Surrey" – ein Blog von Constance Harding

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mazapán Avatar

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Constance Harding ist eine englische Dame, wohnhaft irgendwo in der Grafschaft Surrey, im Süden Englands. Sie scheint mit ihrem Leben ganz zufrieden zu sein: Sie hat ein schönes großes Haus, einen im Beruf erfolgreichen Ehemann und zwei Kinder… Gut, so zufrieden ist sie doch nicht. Ihre Kinder wollen nicht so, wie sie will und das ist doch nicht so toll.

 

Ihre Kinder und ihr Mann meinen aber, dass Constance eine Beschäftigung braucht und schenken ihr einen Computer und zeigen ihr, wie sie in der virtuellen Welt zurechtkommt, helfen ihr ein Blog anzufangen und schon sind sie alle Constance los.

 

Nur mit technischen Artefakten legt man so eine Constance nicht aufs Eis.

Sie mischt sich überall ein, sie denkt, sie kann die Probleme aller Welt lösen, vor allem die Liebesprobleme aller Welt und merkt nicht mal, dass sie dadurch alles nur schlimmer macht.

Was ihre eigene Familie betrifft ist Constance von einem schlimmen Fall von Blindheit befallen: Ihr Mann betrügt sie offensichtlich mit der jungen Haushälterin, ihr Sohn will nicht heiraten und ihre Tochter entfremdet sich immer und immer mehr, und Constance merkt das alles nicht mal!

 

Das alles erfährt der Leser  aus Constances Blog.

Mit für so eine konservative englische Dame ungewöhnlicher Hemmungslosigkeit schreibt sie über ihren Alltag und nicht nur über ihren Alltag, sondern auch über dessen aller Bewohner Surreys.

Dank dieser Hemmungslosigkeit und auch dank ihrer Blindheit für die Ereignisse in ihrer unmittelbaren Umgebung weiß der Leser recht früh mehr über Constances Leben als sie selber. Die Geschichte wird dadurch sehr vorhersehbar und verliert so an Spannung.

 

Sehr auffällig sind Constances Naivität, Oberflächlichkeit und vor allem ihre [Voreingenommenheit](http://www.myjmk.com/index.php?tsearch=Voreingenommenheit&tdir=2&tselective=off&tphrase=off&toffset=52176798) allem gegenüber, was ihre Vorstellungen und Lebensweise nicht entspricht.

Und entsprechend handelt sie: Sie ist überzeugt, dass das, was sie macht, das Richtige ist und übersieht die Katastrophen, die sie selber durch ihren vermeintlichen Altruismus verursacht.

Das alles macht sie in meinen Augen zu unsympathischer Figur.

 

Das Buch "Das leben ist kein Gurkensandwich" (so der deutsche Titel, Original: "A Surrey State of Affairs") von Ceri Radford besteht aus den Blog-Einträgen der 53-jährigen Constance Harding. Tag für Tag ein Jahr lang erfährt der Leser über die Höhen und Tiefen dieser stockkonservativen englischen Hausfrau, die ohne Geldsorgen lebt und komplett entgangen ist, dass ihr einziger Ansprechpartner in ihrem eigenen Zuhause ihr Haustier, der Papagei Darcy ist.

 

Diese Frau hat fast eine Autistische Haltung ihrer Umwelt gegenüber. Sie nimmt gar nichts, aber gar nichts wahr. Sie interpretiert die Geschehnisse so, dass sie zu ihrer inneren Welt passen. Ich konnte mir die Schadensfreude nicht verkneifen, als ich gelesen habe, dass alle Menschen, mit denen sie etwas zu tun hat, sie ignorieren und nicht ernst nehmen. Auch dann, wenn es offensichtlich wurde, dass ihr Mann sie mit der Haushälterin praktisch vor ihrer Nase betrügt, und sie die Zeichen komplett ignoriert, hatte ich kein Mitleid mit ihr.

 

Die Hoffnung darauf, dass die Geschichte eine (aus meiner Sicht) bessere Wendung (oder eine realistischere) nimmt, dass Constances Persönlichkeit an Tiefgang gewinnt, dass sie nicht immer wieder zu ihrem "autistischen Modus" zurückkehrt, hielt mich am Lesen.

 

Ceri Radfords Schreibstil ist schlicht und angenehm. Das Buch lässt sich leicht und schnell lesen. Leider fand ich es keinesfalls lustig. Im Gegenteil, viele Szenen fand ich peinlich, lächerlich und grotesk. Leider.

Statt lachen musste ich über so viel Naivität und Oberflächlichkeit, die wenig glaubwürdig wirkten, und über so viele schrecklichen Vorurteile immer wieder den Kopf schütteln.

Der deutsche Titel lässt britischen Humor anmuten. Leider wurde ich in dieser Hinsicht enttäuscht.

 

Die Blogform fand ich akzeptabel.

Da die für jedes Blog zugehörigen Kommentare fehlten, erinnert das Buch eher an ein normales Tagebuch.

Ich denke, durch ein paar Leseranmerkungen hätte man dem Buch in seinem Blogform mehr Glaubwürdigkeit verleihen können.

 

Gegen Ende der Geschichte ist sehr viel und sehr schnell geschehen.

Zu Constances Persönlichkeitsentwicklung zum Schluss möchte ich hier nicht zu viel verraten. Am Ende bleibt jedem überlassen, darüber zu urteilen.

 

Wenn eine verzweifelte Frau in einer prekären Situation ihrer Freundin ihr Herz ausschüttet und sich diese später in ihrem Blog (das theoretisch die ganze Welt lesen kann)  beim Beschreiben der Situation verächtlich über den "hässlichen braunen Haaransatz" ihrer Freundin in der Not äußert… wer so was als humorvoll empfindet, wer darüber lachen kann, dem ist dieses Buch zu empfehlen.

Ich konnte über solche Situationen (die in dem Buch zahlreich vorhanden sind) nicht lachen.

 

Auch wenn meine Kritik nicht ganz positiv klingt, hatte das Buch meine volle Aufmerksamkeit und ich fühlte mich gut unterhalten, denn ein kleines bisschen voyeuristisch ist es, wenn man das Bedürfnis spürt, mehr über die intimsten Details im Leben einer Frau zu erfahren, der es nicht so gut geht, wie sie es selber glaubt.

 

Außerdem liefert Constance Harding viel Stoff für Klatsch und Tratsch für eine Diskussionsrunde. Deswegen drei Sterne für das Buch.