Very british indeed!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
zauberberggast Avatar

Von

Ach ja, was soll ich sagen: ein „Blog-Roman“ einer fiktiven mittelalten englischen Hausfrau der upper middle class, da hat man nicht so viel erwartet. In der Tat war dieser Roman, der in Tagebuchform verfasst ist (Ich-Perspektive, die Kapitel bilden die Datumseinträge, es wird in Erlebnisberichtform zusammengefasst was die Schreiberin erlebt und was sie gedanklich beschäftigt hat), durchaus ein Lesevergnügen-zumindest die ersten 100-200 Seiten. Das lag bzw. liegt an der humorvollen Leichtigkeit, mit der er verfasst ist und auch an der sympathischen Hautfigur Constance Harding, die eigentlich nur will dass alle um sie rum glücklich und zufrieden sind – inkl. sie selbst. Mit einer „Emma“-haften Attitüde will sie alle Singles – allen voran ihre beiden erwachsenen Kinder Sophie (18) und Ruppert (25) – mit adäquaten, anständigen Partner verkuppeln – und tritt dabei in so manches Fettnäpfchen. So übersieht sie dabei natürlich dass die Tochter einfach noch zu jung ist und sich selbst finden muss, bevor sie den richtigen Partner finden kann und natürlich auch, dass der Sohn trotz exzellentem Geschmack auf Männer steht.

Lustig – und so englisch – an dem Roman ist, dass sowohl Constance als auch zum größten Teil ihre Familie und Freunde alles, sei es auch noch so skurril, mit der berühmten britischen Zurückhaltung und Contenance hinnehmen. Vom litauischen Hausmädchen Natalia, die immer für einen Aufreger gut ist über die ungeliebten Avancen eines frisch verlassenen Bekannten Gerald aus dem „Glockenschwingerverein“ bis hin zu der rotzfrechen und sich allen Konventionen widersetzenden Tochter Sophie, die ihr Leben ganz anders lebt als es ihre Mutter für sie geplant hat und der Grundschullehrerin, mit der sie eigentlich ihren Sohn verkuppeln wollte und die sich als Liebeskranke Stalkerin entpuppt spannt sich der Bogen an Herausforderungen, denen Constance in dem einen Jahr ihres Bloggerinnen-Daseins begegnen muss. Dann gibt es noch den erotischen amerikanischen Aushilfsgärtner Randolph, die von ihrem pleite gegangenen Ehemann hin- und wieder verlassene Nachbarin Tanya (die zu allem Überfluss auch noch schwanger ist), Verwandte, deren Kinder glücklich verheiratete Eltern sind, die litauische Zwillingsschwester des Hausmädchens, den ungeliebten russischen Studienfreund ihres Mannes usw. usf. Natürlich ist da auch noch Jeffrey, der Ehemann, der Constance bei „Facebook“ nicht bestätigt und auch sonst zunehmend auf Distanz geht und eigentlich nur noch arbeitet und Whisky trinkt (um schließlich in Argentinien seine Midlife-Crisis auszuleben) und natürlich den Papagei Darcy, der hin und wieder ein Wort oder sich selbst im Garten verliert.

Kurz um: hier werden wir mit dem Innenleben einer Frau konfrontiert, die zwar alles hat, aber dennoch irgendwie im goldenen Käfig nach immer neuen „Sinnen“ für ihr Leben sucht und sie auch irgendwie findet. Dass das Ganze auch noch lustig ist und ein versöhnliches Ende ist natürlich ein Bonus, den man als Liebhaber humorvoller, leichter Romane gerne hinnimmt.

Weil ich das Gefühl hatte dass der Roman ab der Hälfte irgendwie an „Fahrt“ und Biss verloren hat und man an manchen Stellen den Eindruck der gezwungenen Unterhaltung bzw. vor allem im Mittelteil den unnötiger Längen hat gebe ich nur gute 3 Sterne. 

Mein Lieblingssatz aus dem Roman: „Mein Leben dreht sich nur um mich selbst, und mir fehlt es, dass ein anderer weiß, ich war einkaufen und habe Milch mitgebracht, oder ich habe Zugfahrkarten für das Wochenende in Bath gekauft.“ (S. 351)