Vielschichtig und Gehaltvoll

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karschtl Avatar

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Mein Fazit lautet: toller Roman, der sich als äußerst vielschichtig und gehaltvoll entpuppt, mit einer Prise 'lehrreich' noch dazu.

Beginnen tut er erst einmal wie ein 'Frauenroman'. Georgie ist frisch getrennt von ihrem Mann und trifft beim Entsorgen seiner Sachen auf eine äußerst kauzige Nachbarin, die sie bald näher kennen lernt als ihr eigentlich lieb war. Die alte Frau kommt nämlich unverhofft ins Krankenhaus, derweil muss sich natürlich jemand um die vielen Katzen kümmern. Und ganz nebenbei gilt es auch noch, das Haus davor zu bewahren, dass es sich die gierige Sozialarbeiterin des Krankenhauses unter den Nagel reißt.

Ungerechte Behandlung treibt mich ja immer in den Wahnsinn, selbst wenn ich es 'nur' in Büchern lesen muss. Das hat mich auch schon am dem Debüt von Marina Lewycka "Eine kurze Geschichte von Traktoren..." verrückt gemacht - wie die - wie die eingekaufte Frau ihren neuen Mann nach Strich und Faden ausnehmen wollte. Hier sind es nicht nur Privatleute, gegen die unsere Heldin kämpfen muss, sondern auch die Behörden. Und da ist es ungleich schwerer gegen anzukommen. Wie Mrs. Shapiro im Pflegeheim regelrecht inhaftiert wird fand ich unglaublich.

Aber zum Glück ist das nicht der einzige Erzählstrang. Da gäbe es noch den religiös-fanatischen Sohn Ben, mit dessen Vorstellungen vom Leben Georgie nicht mehr genau umzugehen weiß. Ich habe mich an der Stelle selbst gefragt, wie ich reagieren würde, um meinen Sohn davon abzuhalten, zB aus lauter Verzweiflung Selbstmord oder auch eine Amoktat zu begehen. Ich wüsste es ehrlich gesagt nicht.

Dann gibt es noch die Liebeskomponente zwischen Georgie und ihrem neuen Verehrer Mr. Diabello (ich hab im Buch ständig automatisch Diabolo gelesen, aber ganz so teuflisch ist er ja nicht), und auch ihr Ehemann Rip ist noch nicht ganz aus dem Rennen.

Auch das politische wird nicht außer Acht gelassen, in dem der Konflikt zwischen den israelischen Juden und den Palästinensern mal aus der Sicht von letzteren geschildert wird. Diesen Punkt fand ich persönlich am interessantesten, da mir vieles davon überhaupt nicht bekannt war. Trotzdem ich die Attentate der Palästinenser immer noch nicht gut heiße (genauso wenig wie die der Juden), sehe ich jetzt doch einiges immerhin mit zwei Augen statt nur einem.

Die soziale Schiene ist abgedeckt durch die bereits angesprochene Geschichte mit den Sozialarbeitern, Krankenhäusern und Heimen. Aber auch die zwischenmenschichen Beziehungen zwischen all den verschiedenen Charakteren fallen ja hier drunter. Und alle werden von einem gemeinsamen Klebstoff zusammengehalten. Ich fand es sehr gut, wie Lewycka diese Metapher an den verschiedensten Stellen immer wieder passend angebracht hat.

Auch das Ende war dann wieder sehr versöhnlich und ein toller Abschluss. Auf seine Art und Weise ist für jeden doch ein Stückchen Glück übrig geblieben.

Der Schreibstil war sehr angenehm zu lesen. Warum ich trotzdem mehrere Tage gebraucht habe, um fertig zu werden lag einzig daran, dass das Buch doch deutlich über 400 Seiten hat und ich immer nur wenige pro Tag schaffe in der U-Bahn.