Familiengeheimnisse in dunkler Zeit

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gerwine ogbuagu Avatar

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Der Roman beginnt im Jahr 1940, wir lernen die Protagonistin Inès kennen und erfahren, dass sie auf dem Weingut ihres Mannes, Chauveau in Frankreich, lebt. Eine düstere Atmosphäre umgibt zwei Familien, die gemeinsam den Champagner im Labyrinth ihrer Weinkeller vor den Deutschen verstecken. Was in diesen „crayeres“, den in die Kreidefelsen geschlagenen, kilometerlangen und 30 Meter unter der Erde liegenden Kellerverschlingungen der Winzer alles geschieht, abgesehen von den Lagerungen der Champagnerflaschen , führt uns in die Abgründe der menschlichen Natur.
Wir springen nach dieser Einführung ins Jahr 2019 und begegnen Liv und ihrer Großmutter Edith, die sich gerade hat scheiden lassen und nun ein neues Leben beginnen muss. In welcher Verbindung steht Liv nun zu diesen Familien? In wechselnden Zeiten lesen wir über die Vergangenheit, und verstehen, wie alles in dieser hochspannenden Geschichte zusammenhängt. Beide Teile des Romans sind gleich bedeutend. Oft verführt der Teil, den man gerade liest dazu, den nächsten aus derselben Zeit zu suchen und erst danach zur anderen Zeit zurückzukehren.
Die Geschichte spielt in den dunkelsten Tagen des Zweiten Weltkriegs inmitten der Champagner-Weinberge Nordfrankreichs. Die Autorin hält den Spannungsbogen bis zum Finale. Die außergewöhnlichen Charaktere fesseln sofort und auch die Nebenfiguren werden lebendig und unvergesslich skizziert. Der Roman ist reich and überraschenden Wendungen.
Die Vergangenheit lässt uns niemals los und so erleben es auch die Charaktere in dieser Geschichte. Wir lesen von Liebe und harter Arbeit, die die Menschen bis an ihre Grenzen bringt, und von Verrat, wo man es nicht erwartet. Die Gemeinheit der Menschheit feiert hier Triumpfe, wie wir sie schon oft in Kriegsgeschichten gelesen haben. Die Ausmaße der Grausamkeit der Besatzer im Dritten Reich gegen die Bevölkerung lässt einen immer wieder erschaudern. Wir erfahren, wie die Stadt Reims in der Champagne Frankreichs in beiden Weltkriegen fast dem Erdboden gleich gemacht wurde. Auch die Behandlung der Juden unter der fanatischen deutschen Besatzung Frankreichs wird thematisiert und steht in nichts nach in dem, was wir schon über andere Länder erfahren haben, wo Deutsche im Krieg wüteten.
Der sehr lebendige und leichte Stil Harmels liest sich angenehm, und macht den Roman zu einem echten „pageturner“. Wir dürfen auf die Schicksale dieser Familien gespannt sein, „Das letzte Licht des Tages“ verspricht eine spannende und zeitgeschichtlich relevante Lektüre.
Wie allerdings der Titel „Das letzte Licht des Tages“ dem deutschen Verlag eingefallen ist, bleibt ein Rätsel. Der Originaltitel „The winemaker’s wife“ trifft die Essenz wesentlich besser. Leider werden die Originaltitel anderssprachiger Bücher zu oft in deutschen Verlagen völlig unterdrückt und mit merkwürdigen Konstruktionen ersetzt.
Wer diesen Roman liest, wird wohl zukünftig den ersten Schluck echten Champagners aus der Gegend mit einem anderen Bewusstsein trinken als vorher, jedenfalls wird es mir so gehen.