Wo Horror und Kitsch aufeinandertreffen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
frabo96 Avatar

Von

"Das letzte Versprechen" von Hera Lind erzählt die Lebensgeschichte von Anni Eckardt, einer Banatdeutschen, die als Kind nach dem zweiten Weltkrieg von ihrer Heimat zuerst in ein grausames Lager und dann nach Deutschland kommt, während ihre Mutter fünf Jahre in Sibirien Zwangsarbeit verrichten muss. Wir begleiten Anni und ihre Mutter vor allem durch diese extrem furchtbare Zeit, erfahren aber auch, wie sich Annis Leben nach der Ankunft in Deutschland weiterentwickelt hat.

Zuallererst: Das war mein erstes Hera Lind-Buch. Aus diesem Grund kann man mir bei einigen Kritikpunkten sicherlich vorwerfen, dass ich hätte wissen müssen "worauf ich mich einlasse", denn mein Hauptproblem an dem Buch war wirklich, dass ich komplett andere Erwartungen daran gehabt habe.

Ich habe etwas Schwierigkeiten, die Handlung des Buches zu kritisieren, eben weil es sich um eine reale Lebensgeschichte handelt. Ich konnte einiges über die Banatschwaben und ihre Kultur sowie ihr doch teilweise extrem grausames Schicksal lernen, was ich dem Buch extrem hoch anrechne (und was es ehrlich gesagt vor der Zwei-Sterne-Bewertung gerettet hat). Andererseits bemerkt die Autorin gleich zu Beginn, dass die Geschichte auch fiktionale Elemente hat und unter dem Aspekt hätte ich mir etwas mehr roten Faden und eine tiefere Botschaft gewünscht. Wäre das Buch von vornherein als (eventuell komplett nicht fiktionale) Lebensgeschichte einer Frau vermarktet worden, wäre ich da vielleicht ganz anders herangegangen.

Mein mit Abstand größter Kritikpunkt ist der extrem kitschige Schreibstil, der in Kombination mit den teils sehr grausamen Inhalten irgendwie schon fast absurd ist. Ja, Teile des Buches werden aus Sicht eines Kindes geschrieben, was eine kindische Ausdrucksweise rechtfertigen würde, wenn dann aber geschichtliche Fakten in diese Erzählweise eingebunden werden, die nur eine ältere Frau in der heutigen Zeit wissen kann, ist das für mich inkonsistent und schlecht geschrieben. Aus dieser Perspektive fand ich es auch ziemlich gefährlich, wie über die Rolle des deutschen Volkes im Zweiten Weltkrieg in diesem Buch geschrieben wird. Ich weiß wirklich nicht, ob es 2022 noch richtig ist, ständig darauf zu pochen, dass einzig und allein Hitler die Grausamkeiten des Krieges zu verschulden hat, während die Angehörigen, die selbst in der Wehrmacht waren, "niemandem etwas getan haben". Auch das hätte mich nicht so sehr gestört, wenn es eine reine Autobiografie gewesen wäre, aber von einer Bestsellerautorin wie Lind hätte ich wenigstens etwas weniger absolute Formulierungen erwartet

Um nicht nur zu meckern: Die zweite Hälfte des Buches, die nach der Ankunft in Deutschland spielt, fand ich deutlich besser und auch interessanter. Hier fand ich vor allem interessant, wie das Thema posttraumatische Störung nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt wurde. Ich finde, hier hätte die Autorin tatsächlich noch mehr herausholen können, das wäre wirklich mal ein einzigartiges Thema gewesen.

Ich denke, wenn man weiß, was man bei Hera Linds Lebensgeschichten bekommt, wird man sicherlich schöne Lesestunden mit dem Buch haben, man lernt definitiv eine ganze Menge. Als historischer Roman hat mir jedoch oft der Tiefgang gefehlt und der Schreibstil hat mir überhaupt nicht zugesagt.