Das Leuchten der Rentiere

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Elsa ist erst 9 Jahre alt, als ihr Rentier getötet wird. Sie sieht den Mörder ihres Rens noch am Tatort - und dieser gibt ihr mit einer Geste unmissverständlich zu verstehen, was passiert, wenn sie nicht den Mund hält. Jahrelang lebt sie mit dem Wissen, wer ihr Rentier getötet hat und der Schuld, die sie mit ihrem Schweigen auf sich geladen hat. Denn das Töten von Rentieren häuft sich in der Gegend, in der Elsas Familie ihre Herde unterhält, die Morde werden jedoch nur als Diebstahl geahndet und ohne Zeugen von der örtlichen Polizei nicht weiter verfolgt. Als Elsa beginnt, sich gegen dieses System aufzulehnen, gerät sie in das Visier des Mannes, der sie vor so vielen Jahren zum Schweigen zwang...

"Das Leuchten der Rentiere" von Ann-Helén Laestadius, übersetzt von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt, ist ein sehr besonderes Buch dessen Spannung, Zauber und vor allem Wissen sich den Lesenden erst nach und nach erschließt. Die schwedische Journalistin und Autorin gliedert ihr Buch in mehrere Teile, der erste spielt sich in Elsas Kindheit ab und schildert die ersten Monate nach der Ermordung ihres Rentiers, als der 9-jährigen langsam bewusst wird, dass die Welt um sie herum nicht heil, sondern voller Hass auf ihr indigenes Volk, den Sámi, Unterdrückung und Ausweglosigkeit ist. Gerade dieser erste Teil ist zwar essentiell für die Geschichte, hat mir den Einstieg in das Buch aber ob der Perspektive einer 9-jährigen etwas erschwert. Ab dem zweiten Teil, der rund 10 Jahre später spielt, hat mich "Das Leuchten der Rentiere" aber extrem gefesselt und nicht mehr losgelassen.

Ich hatte vor dem Lesen des Romans noch nie etwas von den Samen, einem indigenen Volk im Norden Fennoskandinaviens, gehört und entsprechend viel gelernt bei der Lektüre. Ann-Helén Laestadius ist selbst gebürtige Sámi, erzählt die Geschichte also aus einer Own-Voice-Perspektive heraus. Im Nachwort verdeutlicht sie, wie viel Wahrheit und reeller Hintergrund hinter der Fiktion im Buch stecken, was mich sehr berührt hat. Die Autorin erzählt von Rentiermorden, die die Existenzgrundlage der Samen bedrohen, aber auch von dem Hass und der Missgunst, die dem indigenen Volk immer wieder entgegen schlagen. Sie berichtet jedoch zudem von der Perspektivenlosigkeit junger Sámi, von Unverständnis und veralteten Rollenbildern, die es gerade den Frauen des Volkes schwer machen, Fuß zu fassen. Auch die Folgen, die die Klimakrise für ein indigenes Volk wie die Samen, deren Existenz stark von der Natur abhängt, hat, verdeutlicht Ann-Helén Laestadius.

Ich möchte "Das Leuchten der Rentiere" gerne mit Nachdruck empfehlen - es lohnt sich, beim Lesen dran zu bleiben, denn die Geschichte ist nicht nur wirklich toll geschrieben, sondern auch sehr relevant und aufrüttelnd.