Einfühlsam und verstörend zugleich - Ein Lesetipp für Wintertage

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missmarie Avatar

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"Sie hetzten sich gegenseitig auf wie Wölfe. [...] Eigentlich hielt man am besten über das meiste den Mund, wenn es nach Mama ging. Es kam nichts Gutes dabei raus, über sich selbst mit Leuten zu reden, die man nicht kannte."

Nicht auffallen, den Kopf unten halten, bloß nichts tun, was die Aufmerksamkeit anderer erregen könnte - insbesondere dann, wenn man das Dorf verlässt und in die nahe Kleinstadt fährt. Das bekommt Elsa schon von klein auf eingetrichtert. Denn sie gehört zu dem Volk der Samen, die im Norden von Norwegen, Schweden und Finnland heimisch sind. Als Rentierhirten (daher auch der abfällige Ausdruck Lappen) verdienen die Angehörigen des Volkes ihren Lebensunterhalt. Und so ist es nur verständlich, dass auch Elsa ein Ren besitzt. Doch das wird auf grausame Weise getötet und Elsa kennt den Mörder. Doch die schwedische Polizei interessiert nur wenig, wer und warum sich an dem Ren vergangen hat. Denn schließlich sind die Sami - zumindest in der inoffiziellen Lesart - weniger Wert als die ansässigen Schweden. Mit neun Jahren erfährt sie so erstmals vom Rassismus gegen Sami. Denn schnell findet sie heraus, dass noch viel mehr Rentiere mutwillig geschändet und verstümmelt werden.

Auch als Erwachsene - im Buch gibt es mehrere Zeitsprünge - wird Elsa immer wieder mit dem Rassismus gegen die Samen konfrontiert. Sei es die Kultur, die sich in Gesängen und in den blauen und mit bunten Bändern verzierten Kolts ausdrückt oder die Rentierzucht, die Raser auf langen Straßen zwingt, langsamer zu fahren. All das scheint Anlass genug, um den Hass auf Samen immer wieder neu zu befeuern. Doch während die kindliche Elsa den Anfeindungen hilflos entgegentritt (sie versteckt und verkriecht sich), nimmt die Erwachsene die Anfeindungen immer seltener hin. Stück für Stück tritt sie immer mutiger für sich und ihre Herkunft ein.

Ann-Helén Laestadius ist ein großartiger Roman über die Kultur und das Leben der Sami gelungen, den man von der ersten Seite an nicht mehr aus der Hand legen mag. Die winterliche Kulisse im ersten Teil, die Zusammenkünfte in der kleinen Küche und die Familienfeste werden so anschaulich und bildreich beschrieben, dass man das Buch - bei all den grausamen Schilderungen, die ebenfalls vorhanden sind - gerne lesen mag. Die Probleme der Sami, seien es Polizeiwillkür, hohe Selbstmordraten oder Ausgrenzung, webt die Autorin Stück für Stück in ihren dichten Text ein.

"Das Leuchten der Rentiere" ist vielleicht kein weihnachtlicher Roman. Dafür wird zu viel Unrecht thematisiert. Dennoch ist es eine große Leseempfehlung für die kalten Tage.