Die Leica - Von Wetzlar in die Welt

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Ich gehöre zur Generation, die mit Kameras fotografieren gelernt hat, an denen man Einstellungen vornehmen musste oder der Automatik vertraut hat. Man wägte genau ab, ob man das Foto aus dieser oder einer anderen Perspektive „schoss“, ging sparsam mit dem Material um. Es kam darauf an, wie man den Film in die Kamera einlegte, wie viele Aufnahmen man mit einem Film machen konnte. Erst wenn man die Fotoarbeit aus dem Labor abholte, sah man wie die Fotos geworden waren. Man traf sich zum Urlaubsbildergucken, zur Diaschau.


Vor über 100 Jahren gab es in Wetzlar die Firma Ernst Leitz, die damals schon für hervorragende optische Instrumente bekannt war, Mikroskope herstellte und die Wissenschaft damit ein gutes Stück weiter brachte. Dort gab es den Tüftler Oskar Barnack, der z.B. Filmrollen so zuschnitt, dass man diese in seine konstruierten Photographieinstrumente einlegen konnte. Die ersten Cameras bestanden aus über 100 Einzelteilen, doch mithilfe dieser kleinen handlichen Kameras konnte man unbemerkt Fotos machen und das echte Leben dokumentieren. Wer die Fotografinnen-Saga von Petra Durst-Benning gelesen hat, weiß um die langsame Verbreitung von Fotografen, die entweder im eigenen Studio oder als Wanderfotografen mit Kulissen als Gast in fremden Räumen – nach langer Vorbereitung und verdeckt von einem großen Tuch – auf den Auslöser drückten. Oskar Barnack hat die Möglichkeiten revolutioniert und die Familie Leitz hat damit die Welt erobert. Leica-Objekte sind für ihre gute Qualität weiterhin sehr bekannt und der Roman hat mir auch nebenbei vermittelt, wie es zu dem Namen kam: [b]LEI[/b]tz seine [b]CA[/b]mera.

[i]„Finger auf den Auslöser. Erst ein leises Schaben, dann ein metallenes Geräusch, eigentlich mehr Klick als Klack. Alles zusammen nur ein Wimpernschlag lang. Es ist das Geräusch, mit dem man den Augenblick ins Metallkästchen sperrt.“[/i]

Sehr gern habe ich vor drei Jahren den Roman „Die Schule am Meer“ von Sandra Lüpkes gelesen und die Recherche zu diesem Buch hat der Autorin Ideen für diesen neuen Roman gegeben. Der jüngste Enkel vom Firmengründer Leitz, Günter, war Schüler in diesem reformpädagogischen Internat auf der Insel Juist. So gibt es dort ein umfangreiches Fotoarchiv mit lebendigen Aufnahmen, da Leitz jun. großzügig mit der Leica dokumentierte.

Ich kann sehr gut verstehen und finde toll, dass Sandra Lüpkes die Geschichte der Industriellenfamilie Leitz recherchiert hat und uns erzählt. Im Leitz Werk wurde die legendäre Kamera entwickelt und gefertigt. Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges, der Befreiung durch die Alliierten endet der Roman. Die Autorin hat neben dem Nachwort auch ein ausführliches Personenregister verfasst. In diesem kann und sollte man weiterlesen, wie es den Personen in ihrem Leben ergangen ist und welche Person Fiktion ist oder der Personenname das Schicksal anderer Mitstreiter erlebt hat.

Sandra Lüpkes berichtet wunderbar die Entwicklung der Fotografie und ihre zunehmende Verbesserung und Verbreitung. Fotolaboranten waren Künstler, die mit Feingefühl und mit Geduld für optimale Ergebnisse sorgten. Zwei Weltkriege haben auch die Familie Leitz gezwungen ihre Produktion umzustellen, die Maschinen umzurüsten und die Fotografie diente auch zur Dokumentation der Kriegserlebnisse und auch der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Erstaunt, weil ich natürlich auch nie darüber nachgedacht habe, habe ich gelesen, dass es damals eine Reportercamera gab, mit der man schon mit einem Film 250 Bilder machen konnte – wie ideal für die Sportereignisse. Auch die Familie Leitz ist mit Juden befreundet und wird unter Druck gesetzt. Dabei wird in diesem Roman zwar die Zerstörung von Geschäften beschrieben, aber glücklicherweise nicht der Abtransport der Juden.

Nicht der legendäre Ernst Leitz, der zweite, der mit dem markigen Satz „Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert“ die Leica 1925 – trotz Wirtschaftskrise - den Weg in die Welt ebnete, spielt die Hauptrolle in diesem Buch. Auch nicht der geniale Feinmechaniker Oskar Barnack, der den Prototypen baute und dessen O-Serie Nr. 105 im vergangenen Jahr für 14, 4 Millionen Euro versteigert wurde, sondern das älteste Kind, die Leitz-Tochter Elsie. Sie ist eine bemerkenswerte Kämpferin, die trotz bester Schulnoten und Durchsetzungsvermögen bei der Firmenleitung übergangen wird. Sie hat nicht nur Wirtschaft studiert, obwohl sie dank drei Brüder nie für die Mitarbeit im Werk vorgesehen war, sondern auch in Rechtswissenschaften zur Stellung der Frau in der Ehe promoviert. Ihre Entwicklung ist auch ein roter Faden durch das Buch. Elsie Leitz rebelliert, stürzt sich in konfliktreiche Beziehungen – und reift zu einer Frau, die bereit ist, dem Unrechtssystem der Nazis die Stirn zu bieten.

Dies ist ein Buch, welches ich ganz vorsichtig aufblätterte und sehr gern genussvoll gelesen habe. Ich werde es ins Regal stellen und bestimmt auch erneut lesen. Ich habe begeistert „Die Schule am Meer“ und mit nicht weniger Begeisterung den neuen Roman gelesen. Dies ist ein großes Leseerlebnis und ich empfehle ihn gern weiter.


Bei diesem Buch lohnt es sich in das Hardcover zu investieren, denn der Roman ist sehr schön gestaltet. Auf den Buchinnenseiten (Vor- und Nachsatz) sind Fotografien in Sepia abgebildet, sie zeigen die Familie Leitz, den Meister Barnack, Werbeplakate für die Kamera sowie Bilder aus dem Betrieb. Der Roman ist unterteilt in mehrere Abschnitte. Jedem Abschnitt vorausgestellt ist ein Cameramodell mit seinen techn. Informationen. Es folgt eine Weltkarte, in der die fortschreitende Verbreitung der Leica-Cameras auf der Welt eingezeichnet ist.