Eine Geschichte über Mode, Freundschaft und die Geschichte Berlins!

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Das Lichtenstein – ein Modehaus im Zentrum der Konfektionen Berlins. Wir begleiten die junge Hedi Markwardt, die große Träume verfolgt. Sie ist ein „Querkopf“ und statt ans Heiraten zu denken, träumt sie von Modeschöpfern und Kaufhäusern.
Bereits nach kurzer Zeit als Ladenmädchen im Lichtenstein wird ihr Blick für Farben und Design entdeckt und sie bekommt die Chance, mit Konfektionär, Näherinnen und Jacob Lichtenstein, einem der Inhaber, zusammenzuarbeiten. Doch der Weg zum flurierenden Modegeschäft ist schwer und das Lichtenstein wird vor schwierige Herausforderungen gestellt. Jacob steht in Konkurrenz mit seinem Bruder Ludwig, der die französische Haute Coutre verteufelt, ein verheerender Brand vernichtet alle Hoffnungen und auch die außenpolitische Spannungen Deutschlands drohen den Traum zu zerbrechen…


Ich lese gerne Romane, die im 20. Jahrhundert spielen, die sich aber meist auf den zweiten Weltkrieg begrenzen und konnte hier deshalb einen ganz neuen Teil der Geschichte Deutschlands entdecken. Da ich selbst u.a. Textilwissenschaften als Schulfach studiere und in diesem Semester ein Seminar zur Modegeschichte belegt habe, war das Thema für mich natürlich sehr ansprechend. Gerade die Mechanismen von Mode und ihrer Entstehung und die Abläufe von Konfektionen fand ich spannend und die Lektüre hat meine Lerninhalte perfekt ergänzt.

Das Buch beginnt direkt mit einer spannenden Szene: Ein Brand im Modehaus Lichtenstein, indem Jacob mit seiner Mutter und anderen gefangen sitzt. Danach befinden wir uns zeitlich vor dem Brand und begleiten Hedi zu ihrer Arbeit im Modehaus. Die Perspektiven wechseln ständig zwischen vier Hauptcharakteren und sind alle relativ kurzgehalten. Dadurch erhält man vielfältige Einblicke in die unterschiedlichen Modeprozesse, Abläufe im Modehaus von Erstellung der Kollektion bis zum Verkauf, sowie der unterschiedlichen Lebensrealitäten und individuellen Schicksale, die hier aufeinandertreffen. Die Szenen und damit Kapitel sind zum Teil sehr kurz, was es mir zu Beginn schwer machte, mich in die Charaktere und ihren „Ton“ einzufühlen und mich an sie zu gewöhnen. Gleichzeitig werden die Ziele und Motive der Personen verdeutlicht und so ein umfassendes Bild gesellschaftlicher Zustände entworfen.

Die einzelnen Charaktere sind gut ausgearbeitet. Während ich Hedi als angenehme, naive, aber jugendhafte Perspektive wahrgenommen habe, fand ich auch die pragmatische Art von Thea und Jacobs Versuche, es allen recht zu machen, sehr sympathisch. Ella hingegen konnte ich wenig nachvollziehen, fand ihre Reaktionen z.T. überzogen und ihre Geschichte für die Hauptstory uninteressant und irrelevant.

Da man von dem Brand bereits von Beginn an weiß, wartet man eigentlich auf den großen Knall. Dieser ist trotzdem spannend und ergreifend, da man die Charaktere schnell ins Herz schließt und mit ihnen mitfiebert. Doch trotz der Herausforderungen scheint sich das Lichtenstein, teils auch durch sehr glückliche Umstände, wieder aufzurappeln (wie ein Phönix aus der Asche) und man wundert sich, wie die restlichen 200 Seiten gefüllt werden sollen. Die eigentliche Kriegsproblematik wird dann nur am Rande oder in Retrospektive beschrieben, was ich sehr schade fand. Ich hätte mir mehr Einblicke in die Herausforderungen der Kriegsjahre gewünscht. Generell fand ich die Zeitsprünge sehr strukturlos. Teilweise folgten die Perspektiven nahtlos innerhalb der selben Szene, teilweise lagen Tage oder Wochen zwischen den Kapiteln, was es schwer machte, den zeitlichen Abläufen zu folgen.

Der Schreibstiel ist sehr flüssig und wirklich angenehm zu lesen, die Autorin lädt zum mitfühlen ein und auch das ein oder andere Tränchen wurde verdrückt. Die Beschreibungen sind z.T. sehr detailliert und auch mit meinem modetheoretischen Vorwissen musste ich das ein oder andere googeln. Die Referenzen sind sehr authentisch und man merkt, dass dieser Roman gut recherchiert wurde!

Das Buch vermittelt eine gute Vorstellung von Dualismen, Mechanismen und Diskursen der Modegeschichte, zeigt die Einflüsse gesellschaftlicher Verhältnisse auf unsere Kleidung auf und ist sicherlich v.a. für Leser*innen mit Interesse an Modehistorie gut geeignet. Eine Geschichte nicht nur über Mode und die Rolle Berlins, sondern auch von Freundschaft, großen Träumen und ein Leben im Krieg. Insgesamt ein schöner Auftakt für eine Trilogie und ich bin gespannt, welche Herausforderungen in den folgenden Bänden entstehen.