Eine historische Hörreise ins Berlin der Träume und der bewegenden Schicksale

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elke seifried Avatar

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Schon lange träumt Hedi davon, einmal eine ganze Nacht alleine in einem der großen Kaufhäuser Berlins zu verbringen. Wenn auch keine Nacht, aber zumindest eine Stelle als Ladenmädchen kann sie ergattern, sehr zum Missfallen ihrer Mutter, die sie am liebsten gut verheiratet wissen würde. Schnell fällt Hedis Geschick und ihr Gespür im Modehaus Lichtenstein auf und während ihr Chef Jacob Lichtenstein von neuen Innovationen träumt, um im Wettrennen mit den vielen anderen großen Warenhäusern und Konsumtempel Berlins den Anschluss nicht zu verpassen, setzt Bruder Ludwig eher auf Altbewährtes. Der Vater, der zwar schon übergeben hat, hält den Geldbeutel zu.

Als Hörer wird man perfekt ins Berlin der Jahre 1913 bis 1918 entführt und darf Höhen und Tiefen des Warenhauses, Entwicklungen in der Mode, Einflüsse der Pariser Haute Couture samt Trends zur Massenkonfektion und auch den Ersten Weltkrieg und seine Auswirkungen erleben. Dies alles bildet einen perfekten Rahmen für die Schicksale der drei Protagonist- und Freundinnen Hedi, Thea und Ella, die alle eng mit dem Warenhaus verknüpft sind und den Zeitgeist von damals gekonnt widerspiegeln. Während man sich mit Hedi nicht nur im Modehaus nach oben schaffen darf, sondern auch verlieben und in dieser Liebe, durch den Krieg bedingt, schwere Hürden nehmen muss, gilt es auch für Schneiderin Thea, sich nach Liebe zu sehnen, dabei so manche Enttäuschung zu erleben, aber auch Unterstützung zu finden. Mit Schauspielerin Ella, die als Vorführdame für das Modehaus arbeitet, darf man noch einmal eine ganz andere Welt erleben. Viel mehr will ich gar nicht verraten.

Der einnehmende Erzählstil der Autorin hat mir von Anfang an sehr gut gefallen und sie hat mir eine perfekte Zeitreise geboten. Sie beschreibt sehr anschaulich, mit vielen Bildern, was einen vor Ort versetzt. Ich konnte so z.B. den Rauch beim Feuer, das im Modehaus ausbricht, fast selbst riechen, die ganz besondere wächserne Schaufensterpuppe oder auch einen notgedrungenen Straßenverkauf richtig vor Augen sehen, so wie auch die besorgte Ehefrau , die verzweifelt alle Fenster zunagelt, damit sich ihr als seelisches und körperliches Wrack aus dem Krieg zurückkehrter Ehemann nicht das Leben nehmen kann. Auch emotional konnte mich die Autorin mit ihren empathischen Formulierungen völlig einfangen. Nicht selten war ich gerührt, stellenweise auch tief geschockt und habe so richtig mitgelitten und mich auch oft mitgefreut. Geschickt spielt die Autorin mit wechselnden Perspektiven, sodass man die Hauptprotagonisten mit ihrer Gedanken- und Gefühlswelt gut kennenlernt. Ab und an gab es auch etwas zu schmunzeln, ganz besonders, wenn z.B. Hedis Mutter wieder einmal versucht, ihre Tochter unter die Haube zu bringen. Familienleben, Intrigen, Spannung und auch eine feine Prise Liebe, das sind die Zutaten mit der Marlene Averbeck hier ihre fesselnde Geschichte würzt.

Die Autorin hat alle ihre Mitspieler äußerst authentisch und gelungen gezeichnet. Hier haben alle so viel Profil, glaubhafte Ecken und Kanten und sind dabei so liebevoll und gekonnt in Szene gesetzt, dass es mit ganz vielen mitzuleiden und mitzuleben gilt. Ein Hauptaugenmerk in diesem Teil liegt sicher auf Hedi, dem anfangs schüchternen Ladenmädchen, das durch seinen Blick für Mode, die offene Art und die guten Ideen schnell im Modehaus die Karriereleiter nach oben steigt. Sehr ans Herz gewachsen ist mir auch Thea, die Näherin aus ärmlichsten Verhältnissen, die sich bei freier Auswahl im Kaufhaus schon mal auf ein elektrisches Taschenlicht für ihren Vater beschränkt, so sehr von einer eigenen Familie träumt und dann mit großen Herausforderungen fertig werden muss. Ella, die Schauspielerin, die sich wenig an Konventionen hält, bietet einen gelungenen Gegenpart zu den beiden. Nicht weniger gekonnt darf man auch in die Lebenswelt der wohlhabenden Inhaberfamilie hineinschauen, in der die beiden Söhne Ludwig und Jacob mit ihren gegensätzlichen Vorstellungen von der Zukunft spannende Intrigen spinnen. Hier habe ich sicher mehr mit Jacob, der von Anfang an mehr Herz zeigt, gefiebert. Gemeinsam mit diversen Nebenrollen, beim gutmütigen Gustav angefangen, über den sympathisch einnehmenden Hannes bis hin zur zickigen Frau Geheimrat, die bei der Anprobe im Zorn über die eigenen Kilos schon mal absichtlich der Schneiderin auf die Finger steigt, erhält man hier als Leser einen tollen Querschnitt durch die damalige Bevölkerung.

Sandra Voss hat mir schon unzählige schöne Hörstunden beschert und auch dieses Mal hat sie mich nicht enttäuscht. Ihr gelingt es ganz vorzüglich die Stimmungen, die Atmosphäre und auch die Dynamik der Geschichte zu transportieren. Mit ihrer einfühlsamen Art setzt sie die menschlichen Tragödien, die es zu erleben gilt, und auch die großen glücklichen Augenblicke gekonnt in Szene. Wie immer verleiht sie mit ihrem breiten Repertoire an diversen Stimmlagen auch jedem der Mitspieler ein ganz individuelle Note.

Alles in allem ein fesselnd, bewegender Auftakt zu einer Trilogie rund um das Modehaus der Träume, der gekonnt vorgetragen bei mir für beste Unterhaltung und wahren Hörgenuss gesorgt hat. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Teil.