Beeindruckend und beklemmend
REZENSION – Bereits im vergangenen Jahr wurde der dystopische Roman „Prophet Song“ des irischen Schriftstellers Paul Lynch (47) mit dem britischen Booker Prize ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Irish Book Award. Auch die im Juli als „Das Lied des Propheten“ beim Verlag Klett-Cotta veröffentlichte deutsche Fassung hätte einen Preis verdient. Wer dieses Buch gelesen hat, wird wohl nicht sofort mit dem nächsten beginnen können. Man braucht etwas Zeit, um diese aufwühlende Handlung über das schrittweise Erstarken des Rechtsextremismus und seine ungeahnten Folgen, die der Londoner „Telegraph“ in Anspielung an George Orwells Klassiker zu Recht „Irlands 1984“ nennt, verarbeiten zu können. Denn obwohl dieser Roman rein fiktiv und in der Republik Irland angesiedelt ist, muss er gerade auf uns deutsche Leser angesichts aktueller Wahlergebnisse in Ostdeutschland und ergänzt um das Wissen über das einstige Erstarken der Nazis und dessen Folgen, beängstigend wirken.
Lynch hat seinen Roman über die allzu leichte Zerbrechlichkeit westlicher Demokratien in seiner Heimat angesiedelt, wo ebenfalls rechtsextreme Parteien und Gruppen wachsen. In seiner Erzählung ist es die National Alliance Party (NAP), die schon zwei Jahre zuvor an die Macht gekommen ist und nun – die Parallele zur Machtergreifung der Nazis ist offensichtlich – durch ständig neue Notverordnungen sowie Einsatz der Gardaí-Polizei und des neuen GNSB-Staatssicherheitsdienstes das Land unter ihre Kontrolle bringt.
Eines Abends stehen zwei GNSB-Beamte vor der Haustür der Dubliner Wissenschaftlerin Eilish Stark. Sie wollen ihren Ehemann Larry sprechen, einen bekannten Funktionär der Lehrer-Gewerkschaft, die gerade eine Großdemonstration vorbereitet. Noch vertrauen die Eheleute auf den Rechtsstaat und die Verfassung des Landes. „Das ist ein eklatanter Bruch internationalen Rechts. Warum dürfen die machen, was sie wollen, warum hat niemand Stopp geschrien?“ - „Das geht alles vorbei, Eilish, früher oder später wird die NAP nachgeben müssen, in ganz Europa herrscht Empörung.“
Doch Larry wird verhaftet und bleibt für Eilish unauffindbar. Sie versucht, ihren Kindern Mark (17), Molly (15) und Bailey (12) sowie Nachzügler Ben (1) die „heile Welt“ zu bewahren. Doch die Ereignisse spitzen sich zu. Nicht nur das Wohnhaus der Familie Stark, die inzwischen als Regime-Gegner bekannt ist, wird von Schlägern beschädigt. „Windschutzscheiben mit Rohren und Baseballschlägern [werden] zertrümmert, Schaufenster eingeschlagen und Hausfassaden demoliert. Es gehen Gerüchte, einige der Männer seien Angehörige der Sicherheitskräfte, einige gehörten den Gardaí an.“
Das Regime hat inzwischen Justiz und Wirtschaft unter seine Kontrolle gebracht, in Unternehmen werden Regime-Kritiker gegen Anhänger ausgetauscht. „Jeden Tag schließt wieder ein internationales Unternehmen unter Ausflüchten die Tore.“ Irlands Nachbarländer schweigen. Es formiert sich eine Rebellen-Armee, der sich auch der 17-jährige Mark anschließt. Wie wird es weitergehen? Was kann Eilish tun, um sich und ihre Familie zu retten? Muss sie weiter ausharren, um auf die Rückkehr von Ehemann und Sohn zu warten? Es bleibt eine Hoffnung: „Früher oder später wird der Schmerz zu groß für Furcht, und wenn die Menschen die Furcht verloren haben, wird das Regime weichen müssen.“ Wird es das?
Paul Lynch erzählt das Schicksal einer bürgerlichen Durchschnittsfamilie in einem einst demokratischen Rechtsstaat, die durch politische Umwälzungen unschuldig und unerwartet in Gefahr für Leib und Leben gerät. Er schildert auf beklemmende Weise, wie sich der Totalitarismus im Land festigt. Doch die Dramatik der Handlung entsteht nicht durch die Zuspitzung der Geschehnisse allein, sondern auch durch Lynchs ungewöhnlichen Schreibstil: Wörtliche Rede wird nicht durch Anführungsstriche kenntlich gemacht, sondern Prosa und Dialoge verschmelzen ineinander zu langen Sätzen, die durch das Auslassen von Pausen schon beim Lesen fast den Atem nehmen.
„Das Lied des Propheten“ ist ein Roman, der uns alle angeht – gerade in heutiger Zeit. Was Paul Lynch in seinem Buch beschreibt, ist noch fiktive Dystopie. Doch sie kann schneller als gedacht Wirklichkeit werden. Brauchen wir wirklich erst einen irischen Schriftsteller als Warner vor rechtem Extremismus, da „der Prophet im eigenen Land“ bekanntlich nichts gilt?
Lynch hat seinen Roman über die allzu leichte Zerbrechlichkeit westlicher Demokratien in seiner Heimat angesiedelt, wo ebenfalls rechtsextreme Parteien und Gruppen wachsen. In seiner Erzählung ist es die National Alliance Party (NAP), die schon zwei Jahre zuvor an die Macht gekommen ist und nun – die Parallele zur Machtergreifung der Nazis ist offensichtlich – durch ständig neue Notverordnungen sowie Einsatz der Gardaí-Polizei und des neuen GNSB-Staatssicherheitsdienstes das Land unter ihre Kontrolle bringt.
Eines Abends stehen zwei GNSB-Beamte vor der Haustür der Dubliner Wissenschaftlerin Eilish Stark. Sie wollen ihren Ehemann Larry sprechen, einen bekannten Funktionär der Lehrer-Gewerkschaft, die gerade eine Großdemonstration vorbereitet. Noch vertrauen die Eheleute auf den Rechtsstaat und die Verfassung des Landes. „Das ist ein eklatanter Bruch internationalen Rechts. Warum dürfen die machen, was sie wollen, warum hat niemand Stopp geschrien?“ - „Das geht alles vorbei, Eilish, früher oder später wird die NAP nachgeben müssen, in ganz Europa herrscht Empörung.“
Doch Larry wird verhaftet und bleibt für Eilish unauffindbar. Sie versucht, ihren Kindern Mark (17), Molly (15) und Bailey (12) sowie Nachzügler Ben (1) die „heile Welt“ zu bewahren. Doch die Ereignisse spitzen sich zu. Nicht nur das Wohnhaus der Familie Stark, die inzwischen als Regime-Gegner bekannt ist, wird von Schlägern beschädigt. „Windschutzscheiben mit Rohren und Baseballschlägern [werden] zertrümmert, Schaufenster eingeschlagen und Hausfassaden demoliert. Es gehen Gerüchte, einige der Männer seien Angehörige der Sicherheitskräfte, einige gehörten den Gardaí an.“
Das Regime hat inzwischen Justiz und Wirtschaft unter seine Kontrolle gebracht, in Unternehmen werden Regime-Kritiker gegen Anhänger ausgetauscht. „Jeden Tag schließt wieder ein internationales Unternehmen unter Ausflüchten die Tore.“ Irlands Nachbarländer schweigen. Es formiert sich eine Rebellen-Armee, der sich auch der 17-jährige Mark anschließt. Wie wird es weitergehen? Was kann Eilish tun, um sich und ihre Familie zu retten? Muss sie weiter ausharren, um auf die Rückkehr von Ehemann und Sohn zu warten? Es bleibt eine Hoffnung: „Früher oder später wird der Schmerz zu groß für Furcht, und wenn die Menschen die Furcht verloren haben, wird das Regime weichen müssen.“ Wird es das?
Paul Lynch erzählt das Schicksal einer bürgerlichen Durchschnittsfamilie in einem einst demokratischen Rechtsstaat, die durch politische Umwälzungen unschuldig und unerwartet in Gefahr für Leib und Leben gerät. Er schildert auf beklemmende Weise, wie sich der Totalitarismus im Land festigt. Doch die Dramatik der Handlung entsteht nicht durch die Zuspitzung der Geschehnisse allein, sondern auch durch Lynchs ungewöhnlichen Schreibstil: Wörtliche Rede wird nicht durch Anführungsstriche kenntlich gemacht, sondern Prosa und Dialoge verschmelzen ineinander zu langen Sätzen, die durch das Auslassen von Pausen schon beim Lesen fast den Atem nehmen.
„Das Lied des Propheten“ ist ein Roman, der uns alle angeht – gerade in heutiger Zeit. Was Paul Lynch in seinem Buch beschreibt, ist noch fiktive Dystopie. Doch sie kann schneller als gedacht Wirklichkeit werden. Brauchen wir wirklich erst einen irischen Schriftsteller als Warner vor rechtem Extremismus, da „der Prophet im eigenen Land“ bekanntlich nichts gilt?