Beunruhigende Dystopie

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
stoepfel Avatar

Von

"Für die Welt sind wir jetzt Fernsehen.", sagt eines der Kinder zu Eilish Stack, die versucht, in einer gekippten Gesellschaft ihre Familie zu retten.

Dem Buch von Paul Lynch zu folgen, schmerzt, verfolgte mich in den Alltag. Wenn ich aus dem Buch auftauchte, war ich froh, im Sommer der Gegenwart zu sein.
Aber mit welchem Recht und wie lange noch?

Es sind ja immer die anderen, bei denen Krieg ausbricht und Not herrscht. Aber was passiert mit diesen "anderen"? Der Autor legt konsequent das Spotlight auf die Innenansicht der Mutter. 4 Kinder hat sie geboren, drei Teenager und ein Säugling, der Mann ein führender Gewerkschafter, der eines Tages nicht heimkommt.
Fast sachlich seziert Lynch die folgenden Monate, wie sich die Gesellschaft immer mehr radikalisiert und es am Ende ums nackte Überleben geht - aber das gekonnt nebenbei, denn eigentlich ist es Eilish, die den Alltag organisiert, mit den Kindern diskutiert, den Partner vermisst und sich um ihren zunehmend dementen Vater sorgt.
Bei all dem hat sie keine Pause, der Autor gibt ihr stilistisch nicht einmal Zeit für Anführungszeichen in Dialogen; kaum Absätze, die Pause böten.
Man will Eilish in den Arm nehmen und aus dem Buch holen, aber ihr Alltag ist kein Buch, er ist Realität.

Es ist ein Buch, das ebenso fesselt, wie es mich etwas ratlos zurück lässt. Das Szenario wirkt nicht unrealistisch. Bezüge zu realen Bedrohungsszenarien kann man zu Dutzenden finden und für sich interpretieren. Daher bleibt die Frage: Was würde ich tun, wenn ich plötzlich Fernsehen wäre?

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle noch die auf mich exzellent wirkende Übersetzungsarbeit. Ohne das Original zu kennen, spürte ich, dass hier jemand sehr akribisch nach Entsprechungen suchte und sie fand, sodass sie die Gesamtatmosphäre transportieren. Chapeau!

Und zuletzt mein Dank an den Verlag und vorablesen.de für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.