Die Verhaftung der Freiheit

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wilde hummel 1 Avatar

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Das Lied des Propheten von Paul Lynch hat ein bezeichnendes Buchcover - ein Frau mit Kindern zwischen dunklen Quadern einer zerbrochenen Welt. Die Geschichte spielt in Irland, ist jedoch unabhängig von Lokalität und Zeit zu lesen. Es beginnt (wie immer) schleichend und wird zunehmen beklemmend - der Verlust der freiheitlichen Rechte. Larry ist Gewerkschafter und wird zur Vernehmung abgeholt. Zurück bleibt Eilish Stack mit ihren vier Kindern. Was zuerst wie eine leichte Verschiebung, ein kleiner Rechtsruck im System passiert wird unaufhaltsam zur innerpolitischen und persönlichen Katastrophe. Ein Land verlässt die Demokratie und geht in die Dystopie. Diese Entwicklung wird aus der Sicht der Mutter erzählt, eine Frau, die ihre Familie zu schützen versucht und doch gegen die Übermacht, Willkür und Gewalt nicht ankommt. Wenn die bisherigen Rechte und Regeln nicht mehr gelten, wenn Andersdenkende als Terroristen verfolgt werden, ist dann Widerstand oder Anpassung oder Flucht die richtige Entscheidung? Der Roman ist einerseits hochaktuell, andererseits lässt er auch keine Hoffnung zu, gibt keine Perspektive zur Lösung, zur Beendigung der Diktatur. Das ist bedrückend und schwer zu ertragen. Persönlich hätte ich mir gewünscht, dass nicht nur Eilish ihre Wirklichkeit erzählt, sondern dass auch die Kinder ihre Wahrnehmung und Auseinandersetzung beifügen. Die Sprache ist manchmal etwas holperig und wenn eine Welt auseinanderbricht, dann darf auch die Sprache etwas bröckeln. Die Geschichte darf nicht nur ein Rufer in der Wüste sein, sondern eine dauerhafte Warnung vor dem Verlust freiheitlicher Grundrechte.