Intensiv und erschütternd
Das Buch zur Zeit könnte man meinen, wenn man sich den Klappentext zum neuen Roman des irischen Schriftstellers Paul Lynch so durchliest.
In vielen europäischen Staaten gibt es einen enormen Rechtsruck in der politischen Landschaft. Ängste werden geschürt, alte Feindbilder wieder reaktiviert und der Versuch unternommen Demokratie Stück für Stück wieder abzubauen. Die Gefahr, dass aus einem demokratischen Staat ein autoritärer werden könnte ist also durchaus gegeben.
„Das Lied des Propheten“ spielt im einstmals demokratischen Irland, welches sich durch einen Regimewechsel zunehmend in ein isoliertes und unfreies Land verwandelt. Meinungsfreiheit und andere Privilege der Demokratie werden peu a peu abgebaut.
Dies bekommt auch die Wissenschaftlerin Eilish am eigenen Leib zu spüren als ihr Mann, ein Gewerkschaftsfunktionär, eines Tages nicht mehr nach Hause kommt. Fortan begleitet der Leser/in die Mutter von vier Kindern bei ihrem Lebensalltag unter dem neuen Regime. Eilish erlebt mit, wie in ihrem Unternehmen Kollegen von einem auf den anderen Tag verschwinden und von Personen ersetzt werden, die dem Kurs der Partei folgen. Wem kann man noch trauen?
Aber auch die Kinder geraten ins Visier des neuen Staatsapparates. Es kommt zu Konflikten zwischen Eilish und einigen ihrer Kinder, die dafür sorgen, dass es zum Bruch mit ihr kommt. Dabei will Eilish doch nur die Familie beschützen.
Zeitgleich hofft sie immer noch auf die Rückkehr ihres Mannes.
Als sich die Chance zur Flucht ergibt, ist sie hin-und hergerissen. Ist sie bereit ihr altes Leben hinter sich zu lassen und mit ihren Kindern einen Neuanfang zu wagen oder hofft sie, dass sie einfach noch ein bisschen durchhalten muss bis der Spuk bald vorbei sein wird und alles wieder wie früher wird?
Paul Lynch hat mit seinem neuen Roman ein intensives und packendes Buch geschrieben. Der Schreibstil ist zu Beginn etwas ungewöhnlich, da der Autor auf die wörtliche Rede verzichtet, aber nach kurzer Zeit vermisst man sie auch gar nicht mehr. Im Gegenteil, der Text ist wie ein Fluss, eine Welle, die einen mitreißt. Und so realistisch, dass einem Angst und Bange werden kann. Die Gefahr, die vom Regime ausgeht, diese oftmals unsichtbare Gefahr, ist deutlich zu spüren und bereitet einem Unbehagen. Gerade im realen aktuellen Kontext.
Man fragt sich als Leser/in, was man an Stelle von Eilish tun würde, wenn man in ihrer Situation wäre. Kein besonders schöner Gedanke.
Die Charaktere und ihre Handlungen sind glaubhaft beschrieben. Eine Identifikation findet statt. Man hofft auf ein Happy End und weiß, dass es höchstwahrscheinlich gar keins geben wird. Denn was ist der Preis für Freiheit?
Fazit: Ein tolles und wichtiges Buch, dass man gelesen haben sollte. Wenn man das Buch gelesen hat, weiß man warum autoritäre Strukturen bekämpft werden müssen. Wer will schon in ständiger Angst leben müssen. Besser geht es fast nicht! Klare Leseempfehlung!