Ein „Lied“ von Krieg und ohne Gefühl

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anna_banana Avatar

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„Das Lied des Wolfes“ von Anthony Ryan ist der erste Band eines Prequels der zuvor erschienenen „Rabenschatten“-Trilogie. Den Grund für die Wahl des Titels des vorliegenden Romans kann ich nur durch Interpretation erahnen, jedoch ist er mir nach Beendigung keinesfalls klar.

Es kann von Vorteil sein, die vorherigen Bände gelesen zu haben. Es fiel mir zu Beginn des Fantasy Epos schwer mich zurechtzufinden. Sehr viele Charaktere werden benannt oder eingeführt und nur sehr wenig bis gar nicht beschrieben. Glücklicherweise gibt es hinten im Buch ein Personenverzeichnis, indem die meisten genannten Figuren namentlich benannt werden und eine kurze Zuordnung erhalten.

Alleinige Hauptfigur ist Vaelin Al Sorna, Turmherr der Nordlande. Dieser war bereits in einigen großen Schlachten verwickelt und erlangte so Ruhm und Ansehen. In der Vergangenheit erhielt er den Beinamen „Dunkelklinge“, den Vaelin selbst aber nicht gerne hört. „Das Lied es Wolfes“ spielt ungefähr zehn Jahre nach den Ereignissen der Vorbände. Vaelin ist inzwischen „ruhiger“ geworden und kümmert sich Pflichtbewusst um die Belange seines Landes. Einst besaß er spezielle Fähigkeiten, die ihn präzise Dinge erahnen ließen, aber diese verlor er durch nicht genau beschriebene Erlebnisse in den Vorbänden. Vaelin kommt zu Ohren, dass die begnadete Heilerin Sherin, eine Frau, die er einst liebte und die er aus Sicherheitsgründen trügerisch fortschickte, zur Jadeprinzessin gerufen wurde. Die Jadeprinzessin ist jedoch viele Zeitalter alt (trotz allem sieht sie jung aus und verhält sich naiv) und erkrankt niemals. Außerdem sorgt hinter den Ländern der Kaufmannskönige eine stählerne Horde für Furore. Vaelin wittert Gefahr und macht sich gemeinsam mit einer Handvoll Gefährten auf die Reise. Er möchte Sherin in Sicherheit wissen.

Vor dem Lesen des Buches dachte ich, das klingt nach einem spannenden Abenteuer! Die Suche nach der ehemaligen Geliebten, eine Reise über das Meer und vielleicht ein paar sympathische Mitstreiter, die ihre eigenen kleinen und großen Herausforderungen zu meisten haben. Leider entpuppte sich das Ganze in meinen Augen schnell als linear hintereinander geschriebene Abfolge von Handlungen und recht eintönigen Dialogen. Die Reise über das Meer wurde in wenigen Sätzen geschildert und die meiste Zeit geht es während der kompletten Handlung eher darum, wie Vaelin als scheinbarer „Allesüberblicker“ kluge und taktische Dinge äußert.

Nach dem Lesen des Buches war ich leider enttäuscht. Diverse Logiken bezüglich einiger Handlungen bestimmter Figuren wollten sich mir nicht erschließen. Zwischenmenschliche Gefühle wurden höchstens kurz erwähnt. Im Fokus standen Beschreibungen von Actionszenen und Schlachten. Oft las ich, dass Schwerter in andere Körper schnitten. Später kam noch dazu, dass die wahnsinnig gewordenen Feinde beim Kämpfen unheimliche Gesänge anstimmten.

Apropos Feinde. Der Gegenspieler Vaelins hatte mitunter noch die spannendste Entwicklung. Vom starken „Stahlhast“-Krieger steigt der siegreiche Kehlbrand zum Anführer auf und ernennt sich selbst im Laufe der Geschichte zum Gott. Sein Ziel: Er möchte von der „Eisensteppe“ bis zum „Goldmeer“ alles unter seine Kontrolle bringen. Dabei startet er mit einer Taktik, die Angst und Schrecken verursacht, um im Nachhinein Gnade walten zu lassen und um die Unterworfen so an sich zu binden. Irgendwie kommt er damit auch durch, wird immer mächtiger und scharrt reihenweise „Erlöste“ um sich.
Fanatische Anhänger Kehlbrands (oder „Dunkelklinge“, wie er sich durch einen „Wahrtraum“ seiner Schwester Luralyn nennt) gehen sogar so weit, dass sie bei dem Ansturm auf eine Stadt als gemeinsamer menschlicher Rammbock fungieren und in Kauf nehmen dabei unweigerlich ums Leben zu kommen. Fanatismus ist mir nicht unbekannt, aber diese Szene fand ich reichlich übertrieben. Sie ist eine von vielen, die mir in diesem Buch auffielen und die ich unmenschlich und somit unauthentisch fand. Zumal menschliche Gemütsregungen ebenfalls nicht vorhanden waren. In einem Nebensatz wurde höchstens mal kurz erwähnt, dass jemand Angst hat.

Kehlbrant hört über Legenden von Vaelin, der ebenfalls den Titel „Dunkelklinge“ hat. Das stört Kehlbrant, weswegen er den „Namensdieb“ fortan zum Gegenspieler adaptiert. Irgendein Turmherr von weit über dem Meer ist also plötzlich sein übelster Feind?
Zu der Zeit, als Kehlbrant von der anderen Dunkelklinge erfährt, weiss er noch nichts von Vaelins Reise.

Luralyn ist eine geachtete Frau bei den Stahlhast. Sie kennt nichts anderes als ihr Volk. Irgendwann beschließt sie aber sich Vaelin und seinen Leuten anzuschließen, weil sie das Gottgehabe ihres Bruders falsch findet. Wie kam sie zu dieser Entscheidung?

Sherin ist nach 10 Jahren nach wie vor sehr sauer auf Vaelin. Vielleicht lässt sich das auf die ein oder andere Weise noch nachvollziehen. Obwohl sie in dieser Zeit auch ein anderes Leben hätte haben können – oder sogar hatte? Darüber wird nichts berichtet. Jedenfalls missfallen ihr Vaelins Vorschläge und von ihm retten lassen möchte sie sich auch nicht. Doch Vaelin sagt etwas und am Ende lässt sich die Frau immer wiederwillig und mürrisch überzeugen. Dabei gibt es dafür keinen plausiblen Grund. Dafür, dass der Autor in diesem Buch viele Kriegerinnen an den Start schickt (sehr gut!), wirkt Sherin auf mich leider nicht, als würde sie eine selbstbestimmte begnadete Heilerin sein. Dieser Aspekt ihrer Figur wird insofern erfüllt, dass Sherin hier und da ein paar Kranke und Verletzte pflegt und sie mit diversen Tinkturen und Tränken versorgt. Am Ende mischt sie sogar Gift für den Krieg, obwohl sie das nicht will. Aber Vaelin sagt, dass es nötig ist und wieder einmal gibt sie nach.

Mein Fazit: Interesse an den Vor- oder Folgebänden habe ich nicht. Mir fehlt es an Charaktertiefe aller Figuren. Gerne würde ich mehr über Motive und Beweggründe einzelner Darsteller erfahren. Rohe Gewalt und Actionszenen catchen mich nur wenig. Eine emotional aufgebaute Stimmung durch eine raffiniert gesponnene Handlung und ausgelebte Gefühle der Charaktere könnten helfen für Spannung und Immersion zu sorgen.

Das Buch beinhaltet drei Karten der Orte, die in „Das Lied es Wolfes“ Beachtung finden. Das Cover zeigt die schöne Illustration eines Kriegers mit Fokus auf eine Waffe. Diese Illustration möchte ich lobend erwähnen, dennoch steht sie in keinem konkreten Zusammenhang zur abgebildeten Geschichte, außer dass es eben Schlachten in dieser gibt.

Magst du ein mittelalterliches Feeling, etwas Fantasy, ausschweifende Kriegsbeschreibungen und den Gut-gegen-Böse-Kampf? Und kannst du auf ausgebaute Figuren verzichten? Muss für dich nicht alles „authentisch“ sein? In dem Fall hast du möglicherweise Freude an dem Buch und wirst es gerne lesen.