Feinsinnig

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lunamonique Avatar

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Nach „Dornröschentod“ ist „Das Mädchen, das in der Metro las“ das neueste Werk in deutscher Übersetzung von Autorin Christine Féret-Fleury. Juilette ist von der Welt der Bücher fasziniert.

Die lesenden Menschen in der Metro sind Juilettes liebste Beobachtungsobjekte. Ihre Arbeit in der Immobilienagentur ist nicht sehr abwechslungsreich. Eines Tages begegnet Juilette der 10jährigen Zaïde, die ihr spontan einen Kurierjob bei ihrem Vater Soliman vermittelt.

Die Geschichte beginnt mit Juilettes Beobachtungen in der Metro, den Gewohnheiten des Mannes mit dem grünen Hut. „Gewöhnliche Tage. An solchen Tagen hat man den Eindruck, Teil einer gut geölten Maschine zu sein, eines großen mechanischen Apparats, in dem jeder seinen Platz findet und sich einfügt.“ Für Juliette ist die Fahrt in der Metro zur Arbeit etwas Besonderes. Sie kann ihren Gedanken, Interpretationen freien Lauf lassen, trifft auf bekannte Gesichter. Was lesen die Menschen in der Metro? Darin unterscheidet sie die Charaktere, an der Wahl ihrer Lektüre. Seltsamerweise entsteht weder zur Hauptfigur noch zu den Nebenfiguren Nähe und doch hält Juilette den Lesern dieses Buches den Spiegel vor Augen. Ihr Leben ist eingefahren. Sie hat sich an das Alltägliche gewöhnt. Mit Zaïde tritt eine spontane und unabwendbare Veränderung ein. Das Bild mit den verrosteten Torflügeln, die nur von einem dazwischen geklemmten Buch abgehalten werden, schwer zu zufallen, ist gelungen. Zaïde und ihr Vater Soliman bringen Herzenswärme in die Geschichte. Originell ist die Idee der Bücherkuriere. Soliman schafft es, mit seiner speziellen Art Juilette an die Wand zu spielen. Er hat eine Aufgabe, ein Ziel und damit Juilette Einiges voraus und das, obwohl er ein sehr zurückgezogenes Leben führt. Kurze Kapitel unterstreichen die Skurrilität. Ist es wirklich möglich, mit einem Buch Kraft, Mut und Unbeschwertheit zu verschenken? Es geht um Nächstenliebe, Feingefühl. Wer ist heutzutage noch bereit, anderen Menschen ohne Gegenleistung etwas Gutes zu tun? Eine leise Geschichte mit Augenblicken, die erst im Nachhinein besonders erscheinen und Abenteuern, die eigentlich keine sind. „Die Landschaft eines Buches konnte einen dazu verführen, in sie einzutauchen, erinnerte sie sich jetzt. Dort zu verweilen und ein neues Leben zu beginnen.“ Das Ende ist originell, hat Charme und animiert dazu, selbst aktiv zu werden.

Das Cover passt zu Juilettes Bücherfaszination und dem feinsinnigen Stil der Geschichte. Der Titel weckt mit seiner Schlichtheit die Neugierde. Sehr gut sind die zurückhaltenden Farben gewählt. „Das Mädchen, das in der Metro las“ offenbart seine Botschaft erst im Laufe der Geschichte. Wer ungewöhnliche Bücher mag, die zum Nachdenken anregen, liegt mit diesem Werk richtig.