Das süßsaure Leben am Gardasee

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Zitronen, traumhafte Landschaften und verwunschene Schlösser - damit bringt Antonia Brauers Mädchen im Zitronenhain alles mit, was eine gute Sommerlektüre ausmacht. Wir begleiten Vicki aus dem München der Nachkriegszeit hinaus bis nach Gardone Riviera, wo auf die energische Künstlerin schon bald die große Liebe wartet.

Professor Blocherer, ihr Förderer an der Kunstakademie, attestiert Vicki am Tage ihres Abschlusses, dass sie es einmal weit bringen würde. Und es stimmt, mit ihrem Eisenschädel gewinnt sie auch bald die Sympathien eines jeden Lesers. Sie ist unbedarft, bis zu einem gewissen Grad sogar naiv, ohne in die Falle der Einfältigkeit zu tappen. Sie setzt ihren Willen mit einer solch charmanten Beharrlichkeit durch, dass man sich beim Lesen so manches Mal wünscht, selbst einen Teelöffel dieser magischen Gabe zu besitzen. Die ersten Kapitel wecken einen unstillbaren Hunger auf mehr, seien es Gelato, Mortadella oder eben Zitronen.

Doch so schnell die Euphorie in diesem Fall aufbrandet, umso schneller verpufft sie wieder. Jeder Liebhaber guter Sommerunterhaltung leckt sich die Finger nach den Geheimnissen rund um das verfallene Grandhotel und die angrenzende verwunschene Villa, nur um am Ende herb enttäuscht mit leeren Händen dazustehen. So viel Potenzial die Erzählung zu Beginn auch aufbaut, so viel lässt sie im Laufe der Handlung am Wegesrand liegen. Statt der streng gehüteten Familiengeheimnisse bekommt man eine umfassende Beschreibung des Wiederaufbaus des Hotels mitsamt Finanzplänen und Geschäftsstrukturen serviert, die für einen Roman ebenso interessant sind wie die Börsenkurse für den örtlichen Häkelverein. Einschneidende Katastrophen wie Stürme und Erdbeben werden innerhalb weniger Seiten abgehandelt, ohne sichtbaren Eindruck auf die Erzählung oder die Protagonisten zu hinterlassen. Am Rande mitgeteilte Andeutungen flattern wie lose Bänder eines Maibaums durch die Seiten des Buches. Betrügt Toni Vicki mit seinen Barbekanntschaften? Vermutlich. Hat sich Traudl in Antonio verguckt? Wer weiß. Und was ist überhaupt in jener Nacht in Malcesine zwischen Vicki und ihren Eltern vorgefallen? Ihr Bruder Josef weiß es, aber der Leser sitzt weiterhin im sprichwörtlichen Dunkeln.

Nicht nur die losen Enden unaufgerollter Erzählstränge lassen die Erzählung über die eigenen Füße stolpern, auch die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Kapiteln treiben den Leser zeitweise an den Rand der Verzweiflung. Über mehrere Kapitel hinweg werden drei Zeitebenen untereinander jongliert, wobei zwei von ihnen schlussendlich ohne Auflösung ins Leere laufen.

Das letzte Drittel des Romans schließlich hetzt durch die Erzählung, als gälte es, eine Medaille im Schnellerzählenkurzstreckenlauf zu gewinnen. Litten auch die ersten zwei Drittel bereits an latenter Oberflächlichkeit, bricht diese Krankheit so kurz vor dem Ziel vollends aus, wobei vorher tiefgreifend wichtige Figuren wie Sondermüll an den Straßenrand gespuckt werden.

Das Ende des Romans lüftet immerhin das Geheimnis rund um die wenig aufregende Handlung, denn offenbar hat man sich detailgetreu an das Leben von Hiki Mayr gehalten, wobei sich, dem Anschein nach, beim Verfassen des Romans wenig künstlerische Freiheit genommen wurde. Diese Loyalität gegenüber den Fakten ist es, die das Mädchen im Zitronenhain vollends zu Fall bringt.