Das Mädchen Yiza

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Michael Köhlmeiers neuer Roman ist eigentlich gar kein richtiger Roman. Nicht nur weil er mit 140 locker bedruckten Seiten sehr schmal ist, sondern vor allem weil das was er erzählt von gleichzeitig so reduzierter wie allgemeingültiger Natur ist. Novelle, Kurzgeschichte, Märchen oder vielleicht Parabel wären die zutreffenderen Bezeichnungen.
Nicht von ungefähr erinnert der Titel an Andersens Märchen "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern".
Ein kleines sechsjähriges Mädchen, Yiza, steht im Mittelpunkt des Textes. Sie irrt allein durch eine nicht näher bezeichnete Stadt. Es ist kalt, es gibt eine Kirche, es könnte sich um Mitteleuropa handeln, ja vielleicht sogar um Deutschland. Das Mädchen ernährt sich von Abfällen, schläft in einer Mülltonne. Zu Beginn war da noch ein "Onkel", der sie zum Betteln schickte und abends wieder mit in die Sammelunterkunft nahm. Doch eines Tages blieb er fort. Yiza muss sich alleine durchschlagen. Beim Leser melden sich erste Abwehrmechanismen. "So etwas gibt es doch nicht. Nicht hier bei uns." Doch spätestens seitdem sie hier zu Tausenden vor unserer Tür stehen, diese sogenannten "Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge", seit den letzten Meldungen von Hunderten verschwundener Flüchtlingskinder müssen wir uns eingestehen, dass wir dieses Elend, dass in Entwicklungs- und Schwellenländern Alltag ist, nun wohlmöglich auch im eigenen Land antreffen können.
Es gibt durchaus wohlmeinende Menschen und Institutionen auch hier im Buch. Yiza wird aufgegriffen und im Kinderheim geradezu liebevoll versorgt. Aber die tief sitzende Verunsicherung, das Misstrauen, vor allem auch die Verständigungsschwierigkeiten, die durch mangelnde gemeinsame Sprache und Kulturunterschiede bestehen, stellen Barrieren dar.
Mit zwei Jungen, Arian und Schamhan, der ihre Sprache spricht, läuft Yiza fort aus dem Kinderheim. Doch die Kinder sind der Situation natürlich nicht gewachsen. Um zu Überleben begehen sie Straftaten, bringen sich in Gefahr. Auch das Böse kommt von unterschiedlichen Seiten in die Geschichte. Das Ende bleibt offen, eher trostlos.
Michael Köhlmeier erzählt in schlichtem Ton. Das entspricht seinen kleinen Protagonisten, passt aber auch zum parabelhaften der Erzählung. Es geht hier weniger um eine ganz bestimmte Geschichte. Deshalb sind die Protagonisten auch nicht mit eigenen Erinnerungen, Erlebnissen, einer Vergangenheit versehen, sondern handeln allein im Hier und Jetzt. Das macht sie ziemlich abstrakt und das Mitgefühl des Lesers bleibt auch auf dieser abstrakten Ebene. Das ist aber vermutlich durchaus gewollt. Es geht hier nicht so sehr um eine Yiza, einen Arian oder um die mehr oder weniger hilfsbereiten Erwachsenen um sie herum. Es geht um die Abermillionen kleiner Geschöpfe überall auf der Welt und neuerdings auch vor unserer Haustür, die allein gelassen und völlig überfordert ihr Leben bestreiten müssen. Sie auf berührende Weise in Erinnerung, ins Augenmerk zu bringen, ist Anliegen und Verdienst dieses Textes.