Eine Mumie spukt durch Wien

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Im Wien der Jahrhundertwende bieten die populäre Ägyptologie und ein spektakulärer (Menschen)Zoo den exotischen Rahmen des zweiten Teils von Oliver Pötzschs „Totengräber-Serie“. Ein fiktives Interview mit dem Romanhelden Leo von Herzfeldt.

„Herr Inspektor von Herzfeldt, Gratulation zum Abschluss eines neuen aufsehenerregenden Falls! Oder sollte ich sagen: zweier Fälle?“

Leo von Herzfeldt: „Das ist richtig, wir konnten unverhoffter Weise gleich zwei Fälle auf einmal lösen. Alles begann mit dem Fund einer Mumie im Kunsthistorischen Museum, die – wie soll ich sagen – zu frisch war. Es handelte sich um die fachgerecht einbalsamierte Leiche eines angesehenen Professors der Ägyptologie. Mir war sofort klar, dass der Täter sich im gelehrten Milieu des werten Professors finden lassen müsste, denn das Wissen der kunstvollen Mumifizierung ist natürlich nicht jedem bekannt. Das gestaltete die Investigationen allerdings als heikel, denn in diesen Kreisen von Geld und Macht begibt man sich schnell auf politisches Glatteis. Und dann wurde ich auch noch von einer wandelnden Mumie tätlich angegriffen!“

„Und worum handelte es sich beim zweiten Fall?“

Leo von Herzfeldt: „Dabei ging es um die grausame Tat eines Serienmörders. Ich will Ihrer Leserschaft die blutigen Details ersparen, doch so viel kann ich verraten: Die Spurensuche führte uns ins Milieu der Stricher und bis in die Wiener Kanalisation. Ein wahrer Irrweg mit vielen Sackgassen, in jeder Hinsicht.“

„Sie deuten es bereits an: Sie waren nicht ganz allein auf Verbrecherjagd?“

Leo von Herzfeldt: „Natürlich gebührt meinem Kollegium ein Teil der Ehre. Doch ganz besonders hervorheben möchte ich meine Kollegin Julia Wolf, die als Tatortfotografin eine Vorreiterin ihres Geschlechts bei der Polizeiarbeit ist. Sie hat viel zu Kämpfen mit dem allgemeinen Vorurteil, Frauen wären zu zart besaitet für diesen Beruf. Doch ich kann versichern, ihr sensibles Gespür ist eher eine Bereicherung bei der Analyse krimineller Taten und ihrer Verbrecher!“

„Ein Vöglein hat mir gezwitschert, dass Sie auch auf weitere ungewöhnliche Helfer zählen …“

Leo von Herzfeldt: „Nun ja, ich kann es nicht leugnen – ich habe auch auf das Fachwissen eines Experten in Sachen Totenkulte zugegriffen, der ein angesehener Autor wissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema ist. Meine Quelle hat viel Erfahrung mit … äh, dem Tod im Allgemeinen und Leichen im Speziellen.“

„Die illustre Runde Ihrer Helfer wurde außerdem noch um den König eines afrikanischen Naturvolkes ergänzt. Wie kam es dazu?“

„Besagter Mann war ein Verdächtiger in einem Mordfall, doch gründete dieser Verdacht mal wieder mehr auf Vorurteilen. Es ist eine Schande, wie im Wiener Tiergarten Menschen zur Schau gestellt werden. Ich kann diese menschenunwürdige Behandlung fremder Völker nicht gut heißen …“

„… und sind damit Ihrer Zeit weit voraus! Ich bedanke mich an dieser Stelle für das Gespräch und hoffe auf baldige weitere Erfolgsmeldungen aus dem Wiener Polizeikommissariat.“

Abschließend möchte ich diesen historischen Roman allen herzlichst empfehlen, die sich für das Wien der Jahrhundertwende interessieren, in dem sich Naturwissenschaften mit Okkultismus vermischten und die Gesellschaft im Strudel neuer Erkenntnisse und Erfindungen zwischen Euphorie und Misstrauen befand. Oliver Plötzsch versteht es meisterlich, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen. Auch wenn ich in diesem Fall die liberalen Ansichten der Helden als unrealistisch fortschrittlich empfand. Zudem finde ich den Buchtitel seltsam irreführend, denn der Totengräber und vor allem sein Schützling, das Mädchen, spielen eine eher untergeordnete Rolle. Die spannende und gut konstruierten Kriminalfälle machen das jedoch gut wett.