Ein Psychologie-Sachbuch für diejenigen, die kein Psychologie-Sachbuch lesen wollen

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springtoiffel Avatar

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Ähnlich wie beim "Café am Rande der Welt" wird hier ein psychologisches Selbsthilfe-Ratgeberbuch in eine vage Handlung verpackt präsentiert.

Die Protagonistin braucht Auszeit von ihrem Alltag und den damit einhergehenden Problemen und wird im Lauf der Handlung durch Einsichten in die eigene Gefühlswelt ein besserer/neuer (?) Mensch.

Offensichtlich soll dies als Selbsthilfe im Umgang mit Gefühlen dienen. Die jeweiligen Situationen, die die problematischen Gefühle wie Angst und Zorn auslösen, dürften den allermeisten Erwachsenen geläufig sein und einige der Gedanken und inneren Dialoge sind extrem nachvollziehbar. Einige Male hat mich das Buch hier überrascht, als ich meine eigenen Gedanken zu den jeweiligen Situationen einige Zeilen weiter auf dem Papier fand.
So weit, so gut.

Die Gefühle werden hier als allgemeingültige Archetypen als eigenständige Personen mit Namen dargestellt, die auch mit der Protagonistin interagieren.
In dieser Interaktion und allgemein der Handlung sehe ich die größte Schwäche dieses Buches, denn sie steht der eigentlichen Übermittlung von Informationen im Weg, vor allem, wenn der eine Wesenszug eines Archetypen ad nauseam bei jedwedem Problem wiederholt wird.
Dies war bei dem "Café am Rande der Welt" (von dem ich auch kein Fan war) nicht der Fall: die Rahmenhandlung war wirklich nur das - ein Rahmen - und die Wissensvermittlung wurde davon nicht beeinträchtigt.

So hätte ich es wesentlich besser gefunden, wenn die Handlung direkt beim Mosaik geendet hätte; wenn man also pro Kapitel einen der Archetypen vorgestellt bekommen hätte, dazu passende Situationen und schließlich der Umgang damit aufgezeigt worden wäre.
Leider war es eben nicht so. Die Archetypen wurden regelrecht heruntergerasselt, nur damit sie dann im Hauptteil oft gleichzeitig mit der Protagonistin interagieren konnten.
Wirklich nicht ideal.

Auch waren einige der Lösungsansätze sehr ... sagen wir, individuell gelöst.
Z.B. als von der Untreue des Partners die Rede war - man solle, wenn man sich denn entschließt, zu verzeihen, die Handlung losgelöst von der Person sehen.
Ernsthaft?
Für mich waren Handlungen immer Ausdruck der jeweiligen Persönlichkeit.
Und wo zieht man hierbei die Grenze? Man denke an Soldaten, die aus Helikoptern einfach aus "Spaß" auf Zivilisten feuern, man denke an Mord, Vergewaltigung, Körperverletzung usw. Also Handlungen, zu denen *nicht* jeder fähig ist. Diese Handlungen sind Ausdruck der Person, ebenso wie Untreue.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zu der Materie wesentlich klarere und, seien wir ehrlich, bessere Bücher gibt, die auch ohne unnötige Handlung massentauglich sind. Man denke an Michael Singers "Die Seele will frei sein", das als reines Sachbuch seit Erscheinen bis heute ein Bestseller auf dem Gebiet ist.

Und zu guter Letzt noch eine winzige Kritik, die aber keinerlei Einfluss auf meine Bewertung hatte: *mehrfach* wurde in dem Buch erwähnt, dass obwohl die Archetypen immer weiblich präsentiert wurden, sie allgemeine Gültigkeit für jeden Menschen hätten. Dennoch steht im Klappentext, dass dieses Buch eine Hilfestellung für Frauen sein soll.
Als Mann ist es mir sehr wohl bewusst, dass Männer heutzutage oft verallgemeinernd als "böse" und "toxisch" angesehen werden - wieso man dann gerade die als Zielgruppe ausschließt, ein besserer Mensch zu werden, ist mir nicht klar.
Ganz abgesehen vom latenten Sexismus - man stelle es sich umgekehrt vor: ein allgemeingültiges Selbsthilfebuch für jeden Menschen, das man dann aber gezielt ausschließlich an Männer richtet. Das würde sicher auch beim Großteil der weiblichen Leser für hochgezogene Augenbrauen sorgen.