Zyklische Leben

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fräulein_jennifee Avatar

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Wer schminkt sich selbst, um dann allein zu sterben? Eine konsequente, eine eigenwillige Frau. Eine Frau, die selbstbestimmt in den Tod geht, nachdem ihre alle Anderen in der Familie sich von ihr zurückgezogen haben. Tscheplanowa beginnt ihren Roman mit den Eigenheiten ihrer Großmutter, der Herrschsucht und den Lügengeschichten, die zusammen- und ineinanderfließen wie die Farben auf dem Buchumschlag.

Auch auf die eigene Blindheit habe der Mensch ein Recht, sagt sie. Ist ihre Großmutter blind? Oder ist sie nicht eher geschlagen mit einer viel tiefer sitzenden Krankheit, dem Nicht-Sehen-Wollen, aus dem sie sich mit Lügengeschichten und dialogischen Hindernisrennen herausmanövriert. Wahrscheinlich lässt sich das eine nicht vom anderen trennen, aber in jedem Fall ist das Interesse geweckt und die Leserin möchte wissen, wer sie denn nun war, die Großmutter.

Tanjas Leben verläuft zyklisch. Mit den Jahreszeiten wird gegessen und gepflanzt, geboren und gestorben. Die Frauen im Dorf sind es, die den Rhythmus bestimmen, die das Obst ernten und die Marmelade machen - und sich mal auf das eine, mal auf das andere freuen. Die Frauen sind so verschieden wie die Kirschmarmelade, die sie einkochen: So knochig wie weich, so versöhnlich wie alt. Eines aber brauchen sie alle: Zuwendung. Und die geben sie sich im Dorf untereinander. Ohnehin scheint es eine Welt ohne Männer zu sein, abgeschieden und zugleich heimelig.

Tschepanowa schreibt fließend, ohne Vorwarnung springt sie von einer Perspektive in die andere, sodass man sich bisweilen fühlt, als müsse man eines der dialogischen Hindernisrennen ihrer Großmutter bestehen. In simplen Worten bringt sie die Komplexität des Lebens auf den Punkt. So wird Sterben wird zum verlorenen Zahn und am Ende steht ein seltsam tröstliches Gefühl von “So-ist-das-eben”.

Das Pferd im Brunnen ist ein Generationenroman über Zusammenhalt und darüber, dass es gut war, wie es war und vielleicht sogar noch besser ist, wie es ist. Unter Umständen ist es sogar eine versteckte Liebeserklärung an die eigenen Wurzeln, die ich in jedem Fall lesen möchte.