Sehr, sehr lesenswert!

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irislobivia Avatar

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Michael Köhlmeier nimmt den Leser mit auf eine Reise ins frühe 20. Jahrhundert und nimmt sich dabei selbst ein bisschen auf die Schippe. Denn Anouk Perleman-Jacob, die 100-jährige Stararchitektin, zu deren Jubiläum er wider Erwarten eingeladen wird, will, dass ausgerechnet er ihre Biografie schreibt, obwohl es schon zwei gibt. Wenig schmeichelhaft ist die Begründung, warum sie ausgerechnet ihn will: Er nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Das hat ihr imponiert, denn erzählen will sie ihre Geschichte, wenn sie ihr nicht geglaubt wird – umso besser. Anouk Perleman-Jacob wird im Alter von 14 Jahren mit ihren Eltern im Auftrag Trotzkis Anfang der 1920er-Jahre aus der Sowjetunion ausgewiesen. Per Schiff geht es auf eine Reise ins Ungewisse, gemeinsam mit anderen Intellektuellen und Wissenschaftlern. Geschickt kombiniert Köhlmeier Fiktion und Realität und animiert den Leser dazu, sich intensiver mit der Geschichte vor und nach der russischen Revolution auseinanderzusetzen. So manche Romanfigur, die der Autor auf sein literarisches Deck holt, hat es wirklich gegeben. An den einzelnen Personen beschreibt er die Gräuel der Revolution, die am Ende einen Teil ihrer Kinder frisst. Unweigerlich fühlte ich mich bei den Beschreibungen Köhlmeyers an Carolly Ericksons Biografie „Alexandra Romanowa“ erinnert, das ich vor einigen Jahren las und mich ziemlich verstörte, beschrieb es doch recht deutlich, auf wie viel Blut, Grausamkeit und Chaos der vermeintliche Traum der Menschheit von Freiheit aufgebaut wurde. Wie immer sitzt bei Köhlmeier jeder Satz, jedes Komma. Pointiert führt er den Leser durch die Geschichte und zeigt am Ende ganz deutlich, wo die Realität aufhört und wo die Fiktion beginnt. Ein sehr, sehr lesenswertes Buch mit historischen Hintergründen, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.