Episodenroman zum Wohlfühlen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
singstar72 Avatar

Von

So mancher (westliche) Leser mag von diesem Buch enttäuscht sein. Denn es entspricht nicht den hier üblichen Erwartungen an einen "Roman". Es ist eher ein Episodenroman, eine Aneinanderreihung von 6 fast identisch ablaufenden Geschichten. Es gibt keine Entwicklung im eigentlichen Sinne, und am Ende ist auch nichts abgeschlossen.

In Japan scheint diese Form gerade ungeheuer "en vogue" zu sein; denn nicht zuletzt erinnert dieses Werk an das ebenfalls erfolgreiche "Before the Coffee Gets Cold" von Toshikazu Kawaguchi. Auch dort reihen sich Geschichten um Besucher eines Lokals aneinander. Eine zusätzliche Hürde für westliche Leser dürften die japanischen Mahlzeiten und Zutaten sein, von denen man hier zum Großteil noch nie gehört hat. Hier wäre ein kleines Glossar sehr hilfreich gewesen.

Dennoch hat das Buch einen ganz eigenen Charme, denn es zeigt sehr eindrücklich, wie sehr Essen mit Erinnerungen und Emotionen verknüpft ist. Und das ist auch kulturübergreifend gültig.

Da ist zum Beispiel die Ehefrau, die ihrem Ex-Mann im wahrsten Sinne nachtrauert. Es geht ihr nur deswegen um die von ihm einst gekochten Schnitzel. Oder der geheimnisvolle, namenlose, vermutlich im Verbrechermilieu beheimatete Kunde, der unerwartet weiche Seiten zeigt, und sich an seine Kindheit erinnern will. Oder der junge, erfolgreiche Unternehmer, der sein Lieblingsgericht für ein Interview beschreiben soll.

Das Buch wirkt bei genauerem "Hinlesen" doch sehr warmherzig. Man sollte es vermutlich nicht in einem Rutsch lesen, denn, wie gesagt, Variation und Abwechslung sucht man hier vergebens. Alle 6 Geschichten spielen sich nach dem gleichen Ablauf ab, teils sogar mit ähnlichen Formulierungen. Vielleicht entspricht das sogar der starken Ritualisierung des japanischen Lebens.

Wer sich gut unterhalten lassen will, und nach eindrücklichen Momentaufnahmen über Essen und Emotionen sucht, der ist hier richtig.