Verlorene Rezepte

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mazapán Avatar

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Jeder kennt es: Auf einmal ist die Erinnerung an eine bestimmte Situation da. Ein Moment, der lange vergessen zu sein schien, ist plötzlich wieder da. Oft ist ein Duft oder ein Geschmack das, was diese Erinnerung verursacht. Mit dem Essen verbinden wir häufig Erlebnisse. In der Kindheit wurden wir gezwungen zu essen, was auf den Tisch kam, als Erwachsene vermeiden wir das zu essen, was uns in der Kindheit nicht geschmeckt hat und kaufen uns, was uns damals verboten wurde, weil es ungesund war.
Aber was ist, wenn wir einen Geschmack wieder erleben wollen? Aber nicht wissen, wie wir ihn reproduzieren können? Weil wir wenig bis keine Information darüber haben. Weil wir nicht sicher sind, warum dieser Geschmack wichtig ist. Warum er Emotionen oder Gefühle in uns irgendwann ausgelöst hat. Weil die Aromen nicht einfach zu beschreiben sind…

In Kyoto, in einer unscheinbaren Gasse, in einem noch unscheinbareren Häuschen, arbeiten ganz besondere Detektive. Nagare, Koch und ehemaliger Polizist, und seine Tochter Koishi haben die Lösung auf dieses Problem. Sie finden das exakte Rezept zu den gesuchten Gerichten. Sie führen ein Restaurant, das ein absoluter Geheimtipp ist. So geheim, dass nur von denen gefunden werden kann, wenn der Wunsch, einen Geschmack wieder zu erleben so groß ist, dass sie alles Mögliche unternehmen würden, um ihn wirklich zu finden. Nagare sagt dazu: "Wer uns braucht, wird uns auch finden".

Nagare und Koishi haben mich unterhalten und auch gerührt. Ihre Bemühungen, die richtigen Rezepte zu finden, um ihre Kunden glücklich zu machen, sind unbezahlbar, und trotzdem dürfen sie nur das bezahlen, was ihnen die Detektivarbeit wert war. Klingt fair. Ist es aber auch. Die Ergebnisse machen am Ende aber nicht immer glücklich, weil sie eine Wahrheit erzählen. Sie erzählen, wie sich alles in der Vergangenheit ereignet hat, und das bedeutet manchmal unerwartete Erkenntnisse.

Mir hat "Das Restaurant der verlorenen Rezepte" von Hisashi Kashiwai sehr gut gefallen. Die höflichen Charaktere, deren ehrlichen Absichten, das konsequente Verhalten, aber auch ihr Menschenkenntnis machen sie zu perfekten Romanfiguren in einem Buch, das höchst wahrscheinlich dazu geschrieben wurde, dessen Lesern ein paar sorglose Stunden zu bescheren.
Wichtiger Bestandteil dieser Geschichte sind natürlich die Rezepte. Sie sind auch so etwas wie Protagonisten. Die unterschiedlichsten Gerichte, die sich die Kunden wünschen, werden nicht nur beschrieben, zubereitet und kunstvoll serviert, die Hintergründe werden auch recherchiert – die Detektivarbeit besteht also nicht nur darin, ein Rezept zu finden, sondern auch darin, herauszufinden, was dieses so besonders in jedem einzelnen Fall macht – und eine entsprechende Geschichte wird zusammen mit dem Essen aufgetischt, denn nur so wird die Wirkung erzielt.

Aber seien wir ehrlich, Essen ist nicht einfach Essen. Essen kann auch ein Event sein! Ein tägliches oder ein schönes, aber auch ein schreckliches, je nach dem, was wir damit verbinden, oder wen wir vor Augen haben, wenn wir daran denken.

Eigentlich wundere ich mich, dass dieses Buch erst jetzt geschrieben wurde…