Spannendes und bewegtes Frauenleben über Kontinente und Ozeane hinweg

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Das rote Adressbuch durfte ich im Rahmen eines Hörbuchwochenendes hören und war total begeistert, trotz gekürzter Lesung. Doris heißt sie, die sympathische und humorvolle Protagonistin und sie hat so viel erlebt, dass frau staunt, wie viel in so ein Frauenleben hinein passt. Etwa 1910 in Stockholm geboren, stirbt sie 96-jährig im Krankenhaus, zurück in ihrem Heimatland. Trotz ihres hohen Alters ist sie technisch versiert und kennt sich mit Laptop samt Kommunikationstool Skype aus. Jenny, ihre Großnichte aus Amerika, ist bei ihr und begleitet sie mit liebevoller Empathie in ihren letzten Tagen.

Erzählt wird dieser Roman in zwei Zeitebenen im Wechsel. In der ersten Zeitebene erfahren wir, was die junge Doris erlebt, diese Rolle spricht Susanne Schroeder. Die aktuellen Ereignisse der betagten Doris werden von Beate Himmelstoss erzählt. Beide Sprecherinnen sind wunderbar und füllen ihre jeweiligen Rollen perfekt aus. So ist die Komposition der beiden Zeitebenen wunderbar abgestimmt und nie verwirrend.

Das rote Adressbuch bekommt Doris als Geschenk von ihrem Vater zum zehnten Geburtstag und sie trägt dort alle Menschen ein, die ihr etwas bedeuten oder denen sie im Laufe ihres langen Lebens begegnet. An diesem Buchstabenregister der Familiennamen entlang hangeln sich die Personen und Ereignisse, bilden den roten Faden in Doris‘ Leben und gleichzeitig erhält damit diese Geschichte ihre feine Struktur. Besonders angenehm empfand ich dabei, dass ich immer wusste, wie die Namen geschrieben wurden und vom wem grad die Rede war. Normalerweise tappt der Hörbuchhörer ja in dieser Hinsicht stets im Dunklen.

"Ich wünsche dir von allem genug. Genug Sonne, die Licht in deine Tage bringt, genug Regen, damit du die Sonne schätzen kannst, genug Glück, das deine Seele stärkt, genug Schmerz, damit du auch die kleinen Freuden des Lebens genießen kannst, und genug Begegnungen, damit du die Abschiede besser verkraftest."
Diese kraftvollen Worte gibt die Mutter ihrer Tochter Doris mit auf den harten Weg als künftiges Dienstmädchen. Zu diesem Zeitpunkt ist Doris erst dreizehn Jahre alt, aber da die Familie sehr arm ist, sieht die Mutter keine andere Möglichkeit. Agnes, die jüngere Schwester, darf bleiben und so trennen sich zunächst die Wege der Schwestern. Bei ihrer neuen „Herrschaft“, der „S“, wie Serafin, Dominique, lernt Doris schon früh ihren langjährigen platonischen Freund „N“, wie Nilsson Gösta kennen. Als Dominique nach Paris geht, nimmt sie von ihren zahlreichen Dienstmädchen nur Doris mit. Und in der Stadt der Liebe – wie könnte es anders sein(?) – lernt Doris dann ihre große Liebe kennen. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Es wird nie rührselig oder trivial, auch wenn sich möglicherweise manches beim ersten Eindruck zunächst so anfühlt. Die Autorin schafft das Kunststück, häufig haarscharf vor der Grenze zum Kitsch, uns die Liebe, den Schmerz, die Sonne, den Regen und die zahlreichen Abschiede in einem prall gefüllten Frauenleben nahezubringen.
Und das bei einem Debüt. Alle Achtung.

Mein Fazit: Ein Hörgenuss sondergleichen, eins meiner drei Highlights dies Jahr. Oft traurig, manchmal lustig, immer spannend. Anschaffen, Kekse & Tee bereitstellen, knapp acht Stunden Zeit freischaufeln und los.