Was am Ende bleibt

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annajo Avatar

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Stockholm, 1928: Zu ihrem 10. Geburtstag bekommt Doris Alm von ihrem Vater ein rotes Adressbuch geschenkt, in dem sie alle Menschen festhalten soll, die ihr etwas bedeuten. Mehr als 80 Jahre später liegt Doris nach einem Sturz im Krankenhaus und ihre Großnichte Jenny, deren Ersatzmutter Doris war, reist aus Amerika an um noch einmal Zeit mit ihr gemeinsam zu verbringen. Dabei findet sie Doris' Adressbuch und viele Seiten niedergeschriebener Erinnerungen, die von einem Leben in Armut in Stockholm bis zu einem Leben als gefeiertes Mannequin in Paris reichen, von Amerika bis zurück nach Schweden. Und über allem schwebt die Sehnsucht nach der großen Liebe.

"Das rote Adressbuch" ist optisch nett aufgemacht. Der Umschlag sieht aus wie ein Adressbuch und die Textfelder imitieren abgegriffene aufgeklebte Etiketten. Die Geschichte gliedert sich nach einzelnen Personen, die eher symbolisch sind für ganze Lebensabschnitte. Über die Figuren selbst erfährt man vergleichswenig wenig bzw. oberflächlich. Die Perspektiven wechseln zwischen Doris' Erinnerungen in der Ich-Form, Doris' aktuellem Leben und Jennys Erleben der aktuellen Situation. Die Überschriften nehmen bereits vorweg, wann eine Figur stirbt. Aber bei einer Frau von 96 Jahren ist zu erwarten, dass die meisten ihrer Zeitgenossen vor ihr sterben. Die Geschichte selbst ist nicht uninteressant, allerdings ein wenig zu überladen. Da ist einerseits das Dienstbotendasein in den 1920ern in Schweden, dann das mondäne Leben (und Leiden) als junges Model in den 1930ern. Auch der zweite Weltkrieg spielt natürlich eine Rolle. Hinzu kommt eine tragische Geschichte über eine unerfüllte Liebe und noch einiges mehr. Natürlich kann man jetzt sagen, dass ein Leben, das fast ein ganzes Jahrhundert umspannt, durchaus sehr ereignisreich sein kann. Aber Zusatzinformationen der Autorin kann man entnehmen, dass sie selbst hier mehrere Leben in einem vereint und verarbeitet hat. Diese Information ist sehr wertvoll, denn dadurch wird die Geschichte an einigen Stellen glaubhafter (beispielsweise wurde die Autorin selbst als 13-Jährige als Model entdeckt und musste mit den Methoden der Branche kämpfen). Dennoch ist es einfach zu viel für ein Einzelschicksal.

Insgesamt ist "Das rote Adressbuch" ein netter Schmöker und eine gefühlige (und teilweise gefühlsduselige) Geschichte über Jahrzehnte und Kontinente hinweg, die alles hat, was man bei so einem Buch erwartet: Reue, Liebe, Drama. Die Sprache ist einfach gehalten genau wie die Erwartungen an zwischenmenschliche Beziehungen und die große Liebe. Klischees werden ausgelebt und auch der Kitsch ist nicht fern. Das Buch ist gut lesbar und leicht verdaulich und taugt gut als leichte Lektüre für gemütliche Lesestunden mit dem Wunsch nach Gefühl und Ablenkung. Am Ende bleiben bei dem einen vielleicht Erkenntnisse über das Leben, und bei dem anderen die Erinnerung an ein paar nette Lesestunden, wenn auch nicht mehr.