Literatur weit ab von allen Klischees

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antoniocd Avatar

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Ein realer Fall der DDR-Geschichte der frühen 1980er Jahre ist Hintergrund und Vorlage für diesen erfreulich außergewöhnlichen Kriminalroman, der in der Wendezeit spielt und es tatsächlich schafft, weit weg von allen Krimi- und Thriller-Klischees eher im Feld des Literarischen im besten Sinne zu bleiben.
Susanne Tägder beobachtet sehr genau und ist nah dran an ihren sehr nachvollziehbaren Figuren. Da ist nichts gemacht und krude und unglaubwürdig zurechtfantasiert, wie man es aus manch anderen Kriminalromanen kennt, die gerne gleich dreiteigig daherkommen und sich an Einfältigkeit und Absurdität immer wieder selbst überbieten. Nichts davon findet man in DAS SCHWEIGEN DES WASSERS. Die Autorin geht mit einer großen Ernsthaftigkeit und dazu noch mit guter Sachkenntnis – ihr Jura-Studium und ihre Tätigkeit als Richterin kommen ihr hierbei sehr zugute – in die Auseinandersetzung mit ihrem Thema und nicht liegt ihr ferner als billige Krimiunterhaltung. Das alles ist sehr gut geschrieben und beschrieben. Sprachlich klar, schnörkellos und doch gerade dadurch sehr schön und poetisch zu lesen.
Tägder geht es offensichtlich um mehr als nur den Fall, dessen reale Hintergründe sie aus einem SZ-Artikel aus dem Jahr 2002 entnommen, und der sie, wie sie selbst schreibt, zu diesem Roman inspiriert hat. Sie thematisiert vieles, das die Wendezeit und das Leben der Menschen damals (und bis ins Heute hinein) bestimmt. Sie beobachtet und beschreibt dabei sehr genau, jedoch meist ohne es zu kommentieren oder auf einer tiefer liegenden Ebene durch die Figuren zu Reflektieren. Dieser „Mangel“, der mich beim Lesen an manchen Stellen sehr irritiert hat, ist aber vielleicht auch genau ihre Absicht. Sie schafft eine Zustandsbeschreibung und das Reflektieren bleibt Aufgabe der Lesenden. Eine Aufgabe, die gerade in Bezug auf die Ost-West-Thematik eine der großen Aufgaben unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren sein wird, die wir nur gemeinsam lösen können.
Und am Ende ist es dann doch auch hauptsächlich ein Kriminalroman, der vor allem durch seine gut gezeichneten und glaubwürdigen Charaktere besticht. Ihre Figuren gestaltet und beschreibt Tägder sehr genau, was den Einstieg zunächst etwas weitschweifig gemacht hat. Es dauert etwas, bis man richtig reinkommt und ein Zug in der Geschichte entsteht, der dann eine Spannung bis zur letzten Seite aufbaut. Manchmal drohen die Fäden der einzelnen Erzählstränge etwas auseinanderzufallen, etwa jener des Reporters Hennemann, der sehr prominent den Prolog bestimmt und dann leider etwas verloren geht. Aber am Ende bringt sie alles sehr gut zusammen und schafft es auch, ein Ende zu kreieren, das nicht mit einfachen Lösungen daherkommt oder einem sinnleeren Cliffhanger, der endlose Fortsetzungen andeutet, sondern ein Ende das so unbefriedigend und gleichsam doch so schön ist wie das echte Leben.
Klare Leseempfehlung für alle, die spannende Kriminalliteratur mit Substanz, Ersthaftigkeit in der Auseinandersetzung und literarischem Anspruch mögen.