Abgesang auf vergangene Zeiten

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webervogel Avatar

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„Das Vermächtnis der Spione“ ist das allererste Buch von John Le Carré, das ich überhaupt gelesen habe. Ich fand die Leseprobe fesselnd und habe es auch relativ schnell durchgelesen. Allerdings stellt sich mir im Nachhinein die Frage, ob es so klug war, ohne Vorkenntnisse zu diesem Roman zu greifen, der inhaltlich offensichtlich auf Ereignisse aus „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Dame, König, As, Spion“ aufbaut und außerdem bereits das neunte Buch um den Geheimagenten George Smiley ist – auch wenn dieser hier vor allem durch Abwesenheit glänzt.
Der Handlung konnte ich dennoch ganz gut folgen: Peter Guilliam, früherer Agent des britischen Geheimdienstes und schon seit Jahren im Ruhestand, wird nach London beordert. Er soll helfen, Geschehnisse aus dem Jahr 1961 zu rekonstruieren, an denen er mindestens mittelbar beteiligt war. Damals wurden zwei Agenten des Secret Service an der Berliner Mauer erschossen, deren Kinder jetzt im Jahr 2017 Geld und eine Offenlegung der Sachverhalte fordern. Doch der britische Geheimdienst hat selbst Mühe, die Ereignisse, die zum Tod der beiden Agenten führten, zu rekonstruieren. Die Akten sind lückenhaft oder ganz verschollen, Beteiligte tot oder nicht auffindbar. Und Peter Guilliam ist auch nicht der Auskunftswilligste – was hat er zu verbergen?

Als Leser folgt man den Gedanken des Agenten und reist mit ihm in Rückblenden fast 60 Jahre zurück. Nach und nach scheint sich die Vergangenheit zu entwirren. Das war schon fesselnd, da sehr intelligent gemacht und gleichzeitig ist vorstellbar, dass Geheimdienste damals tatsächlich so agiert haben. Trotzdem kommt kaum Spannung auf, da der Leser aufgrund der Romangegenwart ja im Großen und Ganzen weiß, wie die Geschichte ausgeht. Auch hat mich das Schicksal der einzelnen Figuren meist kaltgelassen, vielleicht mit Ausnahme der Spionin „Tulip“. Ich nehme jedoch an, dass das ebenfalls daran lag, dass ich die übrigen Romane nicht kannte – wären mir die Protagonisten schon vertraut gewesen, hätte ich ihre Handlungen vermutlich noch besser nachvollziehen können und mehr mit ihnen sympathisiert. So kämpfte ich stattdessen immer wieder mit den verschiedenen Decknamen und hatte manchmal doch Mühe, alle Personen richtig zuzuordnen.
Ich geben diesem Roman vier Sterne, empfehle aber, die „George Smiley“-Buchreihe nicht mit ihm zu beginnen, sondern zumindest „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Dame, König, As, Spion“ zuerst zu lesen.