Das Finale liess sich Zeit

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Die Berliner Mauer ist vor Jahren gefallen, hat aber mit ihren Steinen nicht alle Toten unter sich begraben. George Smileys früherer Assistent Peter Guillam wird nach London beordert und soll Aufklärung in 50 Jahre alte Todesfälle der Operation Windfall bringen. Er hat sich schon lange zur Ruhe gesetzt, geniesst das Leben auf einem Bauernhof in der Bretagne und möchte lieber nichts mehr mit den alten Sachen zu tun haben. Könnte sein ehemaliger Chef denn nicht viel mehr wissen? Nur: Wo ist er?
Mit Hilfe von schriftlichen Dokumenten aller Art soll verschiedenen Fragen nachgegangen werden: Hatten die ermordeten Agenten Leamas und Gold bei ihrer Tätigkeit damals genügend Rückhalt und Hilfe vom britischen Geheimdienst erhalten? Können in der Welt von heute die Beweggründe von damals überhaupt noch mit denselben Massstäben gemessen werden? Muss das Geschehen nicht vielmehr neu beurteilt werden? Oder – nicht auszudenken – heisst der wahre Schuldige am Ende gar Smiley? Doch erscheint dieser doch noch zur rechten Zeit und bringt Klarheit in den Fall.
Panik, Verzweiflung, Liebe, seelische Not: Viel Menschliches ist im «Vermächtnis» zu finden, und der Autor beweist einmal mehr seine überragende Erzählkunst. Nicht umsonst wird er international hoch gelobt, ja er gehört heute schon zu den Klassikern seines Genres. Der Grossmeister des Spionageromans bereitet sein Werk wie ein erlesenes Menü zu, und beinahe deckt man den Lesetisch vorher mit Damast und Kristall. Zwischendurch klingen die alten Klischees an, etwa was die traditionellen Feindbilder betrifft, doch in der damaligen Zeit hatten sie durchaus ihre Berechtigung.
Wohl so mancher Leser fragt sich, ob nicht das eine oder andere Körnchen an Selbsterlebtem unter die Handlung gemischt wurde. Eine Zeitlang war le Carré ja für den Britischen Geheimdienst tätig, und der Roman ist zudem in der Ich-Form (Guillam) verfasst.
Die Zeitsprünge sind notwendig und gut mitvollziehbar. Zudem lockern sie den stellenweise etwas zähen Erzählstrom auf. Toll umgesetzt fand ich den Namen der Agentin Tulip im Coverbild.
Nach den beiden vorgängigen Werken "Der Spion, der aus der Kälte kam" 1963, und "Dame, König, As, Spion" 1974, bildet dieser dritte Roman von John le Carré den Abschluss. Als Trilogie im gängigen Sinn können diese Drei aber trotzdem nicht betrachtet werden, liegen die beiden ersten doch 54 bzw. 43 Jahre zurück, wobei «Der Spion…» bereits der 3. George-Smiley Roman war. Doch inhaltlich trifft es zu, dass das neueste Werk das genannte Dreieck vervollständigt. Es ist anzunehmen, dass auch dieser Roman verfilmt wird. Er ist ein Leckerbissen für alle Spionageroman-Gourmets.