sicherlich ein gutes Buch, wenn die Vorgeschichte bekannt ist

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Von

»Wenn ich eine Mission gehabt habe […], dann bestand sie in Europa. Wenn ich herzlos war, dann für Europa. Wenn ich ein unerreichbares Ziel hatte, dann Europa aus dem Dunkel in ein neues Zeitalter der Vernunft zu führen. Das Ziel habe ich heute noch.« (S. 314)

Kurz zum Inhalt

1961 sterben zwei Menschen an der Berliner Mauer, Alec Leamas, seines Zeichen britischer Top-Spion und seine Freundin Elizabeth „Liz“ Gold.
Mehr als 40 Jahre später wird Peter Guillam aus seinem Ruhestand in der Bretagne nach London ans Innenministerium und in den „Circus“ den Secret Service berufen. Alec’s Sohn und Liz‘ Tochter drohen, die Regierung für den Tod ihrer Eltern zu verklagen. Peter sieht sich mit Vorwürfen zu Operation WINDFALL konfrontiert, die er längst vergessen glaubte. Warum mussten die Agenten sterben? Waren sie etwa unschuldige Bauernopfer? Und noch viel spannender, wie viel weiss Peter Guillam wirklich und was verschweigt er?
In einem spannenden Verhör wird rekonstruiert, was damals wirklich an der Berliner Mauer geschah. Bis ganz zum Schluss George Smiley die Bühne betritt und mit seiner Aussage noch einmal alles verändert.

Wie war es denn nun?

Wer kennt sie nicht, die Spionagethriller von John le Carré? Dame, König, Ass, Spion oder Der Spion, der aus der Kälte kam wurden nicht nur in Starbesetzung verfilmt, sondern bilden auch die Vorgeschichte für diesen neuen Roman. In Der Spion, der aus der Kälte kam führte Operation WINDFALL zum Tod von Alec Leamas und Liz Gold und diese Ereignisse werden nun ja wieder aufgerollt.
Für das Verständnis der Geschichte ist die Lektüre der vorangegangen Bände nicht zwingend erforderlich, wird doch alles nach und nach aufgerollt und erklärt. Ich kann mir aber vorstellen, dass durch gewisse Vorkenntnisse Namen und Begebenheiten schneller eingeordnet werden können und auch einige Dinge in einem klareren Licht erscheinen. Ich persönlich bin doch oft mit einem Fragezeichen im Gesicht dagesessen.

Peter Guillam, in den 60er Jahren Assistent von George Smiley und junger Agent beim Secret Service wird nun 2017 aus seinem Ruhestand erneut in den „Circus“ beordert. Die Hintergründe der Operation WINDFALL sollen geklärt werden, da die Kinder des toten Agenten und seiner Geliebten die britische Regierung zu verklagen drohen. Peter wird nun auserkoren, den Kopf hinzu halten und den Sündenbock zu spielen. Er riecht den Braten jedoch sehr schnell, gibt sich in den Verhören bedeckt und mimt den alten, vergesslichen Agenten.
In Guillam’s gedanklichen Rückblenden erfährt der Leser jedoch ziemlich genau, was damals geschehen ist. Und zusammen mit den Akten, Berichten und Protokollen ergibt sich ein sehr stimmiges Bild des Kalten Krieges und der damaligen Spionagepraktiken. Dabei legt der Autor nicht nur Wert darauf, die Ereignisse möglichst genau zu schildern, sondern stellt auch die Frage nach dem Warum. Dabei geht es vor allem um die Moral und den Wandel der Werte von damals zu heute und inwiefern Taten von damals, heute noch zu rechtfertigen sind.

»Wenn die Wahrheit dich einholt, sei kein Held, lauf weg. Doch ich gebe mir grosse Mühe, langsam zum Dolphin Square und hoch in meine Unterkunft zu gehen, wohl wissend, dass ich nie wieder dort schlafen würde.« (S. 291)

Ja, ich muss gestehen, ich bin mir nicht recht schlüssig, wie ich das Werk denn nun finden soll. Denn zum einen ist es ein toller Spionagethriller alter Schule. Die Geschichte kommt völlig ohne Blutvergiessen, wilde Verfolgungsjagden oder Explosionen aus – genau so, wie ich es liebe. Und doch wollte der Funken nicht recht überspringen. Die Handlung wirkte zäh und wurde von Peter Guillam in einer derart emotionslosen Weise vorgetragen, dass jegliche Spannung im Keim erstickt wurde. Hätte er sich bei seinen Ausführungen auf die Operation WINDFALL beschränkt, so wäre ich als Leserin wahrscheinlich noch einigermassen mitgekommen. Doch da Guillam seine Erzählungen auch auf andere Operationen (MAYFLOWER zum Beispiel) ausdehnt, wurde ich auch mit einer Fülle an handelnden Personen konfrontiert, die ich irgendwann gar nicht mehr richtig zuordnen konnte. Das ging mir allerdings bei der Verfilmung von Dame, König, Ass, Spion ähnlich. Vielleicht ist das ein Merkmal der Bücher John le Carrés?
Nun, lange Rede kurzer Sinn, beim letzten Satz angelangt, hatte ich nicht das Gefühl, dass all meine Frage beantwortet, sondern dass vielmehr noch eine Menge neuer Fragen aufgetaucht sind. Ein Lesegenuss auf voller Linie war Das Vermächtnis der Spione nun definitiv nicht für mich.

Fazit

Der neue Spionageroman von John le Carré – Das Vermächtnis der Spione – wirft einen völlig neuen Blick auf die Operation WINDFALL und rund um die Ereignisse aus Der Spion, der aus der Kälte kam. Es ist ein Thriller der alten Schule und besticht mit einer Handlung, die ohne Blut und hirnlosem Geballere auskommt. Leider erwies sich die Lektüre ohne Vorkenntnisse der George Smiley Romane als sehr verwirrend, zäh und nur schwer verständlich.
Das Buch ist bestimmt sehr gelungen, sofern die handelnden Personen und die genannten Geheimoperationen hinlänglich bekannt sind. Mir waren sie dies leider nicht und daher rate ich allen potentiellen Leser*innen dazu, sich vorher damit vertraut zu machen.

Über den Autor

John le Carré wurde 1931 als David John Moore Cornwell in Pool geboren. Nach dem Studium in Bern und Oxford arbeitete er zuerst als Lehrer in Eton, bevor er während des Kalten Krieges kurzzeitig für den britischen Geheimdienst arbeitete.
Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt nun in London und Cornwall.