Smileys letzter Vorhang

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„Das Vermächtnis der Spione“ ist auch ein Vermächtnis John le Carrés, das seine Serie von spannenden und kundigen Spionageromanen abschließt und mit einer Pointe versieht: Smiley habe sein oftmals schmutziges Geschäft nicht zum höheren Ruhme Gottes betrieben oder aus Ideologietreue oder gar aus Liebe zu seinem Vaterland, sondern wegen einer Idee: der Idee eines friedlichen und vereinten Europas. Das hätten wir Smiley früher wahrscheinlich nicht als wichtigstes Motiv unterstellt, aber es passt zum Gesamtwerk des Autors.

Ist das „Vermächtnis der Spione“ ein Krimi? Nein - die Spannung entsteht nicht aus der Handlung, sondern aus der Haltung der Figuren.
Ist es ein Spionageroman? Nein - eher ein Gegenspionageroman, und zwar einer der besten.
Muss man vorher wissen, was Peter Guillam und Smileys andere Leute in anderen Büchern getrieben haben? Nein - der Roman ist so konstruiert, dass er alles liefert, was andere an Vorwissen haben. Dennoch kann man nur bewundern, wie le Carré 54 Jahre nach Erscheinen seines Erfolgs „Der Spion, der aus der Kälte kam“ diesem Text einen zweiten Boden einzieht und ihn nutzt, die schrägen Verhältnisse des Kalten Krieges mit dem Heute zu verschränken.

Peter Guillam ist um die Achtzig, ein abgelegter und abgelebter Spion des Circus, also des britischen Geheimdienstes, und wird wegen alter Geschichten zurück in die Zentrale beordert. Dort will man ihm und seinen Kameraden aus einer Zeit der beinharten Systemauseinandersetzung einen Strick drehen, der aus modernen juristischen Winkelzügen und Schadenersatzforderungen von Nachkommen von Opfern gewirkt wird. Die Diskrepanz zwischen dem neuen Geheimdienst und dem Schlapphut alter Tage sorgt für prickelnde Lektüre. Der klaffende Gegensatz zwischen den Forderungen Einzelner nach Schadenersatz, wie ihn die moderne Welt der Political Correctness für das Unrecht am Individuum einräumt, und den Kalten Kriegern aus der Zeit des Mauerbaus, denen der Einzelne nichts galt, weil ein Krieg - und sei es ein Kalter Krieg - nun einmal Opfer fordert, wenn ein höheres Ziel es verlangte - dieser klaffende Gegensatz stürzt den Leser in tiefes Nachdenken, wer denn hier Recht hat? Man denkt unwillkürlich an den nüchternen Satz von Kapitän Marko Ramius aus „Jagd auf Roter Oktober“, der der über den Kalten Krieg sagt: „Ein Krieg ohne Schlachten, ohne Denkmäler, nur Verluste“.

Meine Sympathien liegen bei Peter Guillam, der sich gegen die nassforsche Untersuchung der Nachgeborenen erwehren muss, die in einer besseren Welt leben als jener, in denen Kreaturen wie Smiley oder der Stasi-Mörder Hans-Dieter Mundt ihr ekles Werk verrichteten. Verrichten mussten? Dieses Fragezeichen zeichnet den Wert von le Carrás Roman aus, der nämlich die Schuldfrage nie eindeutig klärt, nie Schwarz und Weiß zeichnet.

Am dichtesten aber schwingt die Stimmung der Melancholie durch den Roman, das nostalgische Schwelgen in der Vergangenheit - ob mit oder ohne Glorie - und dem Abgesang auf eine Welt, die sich zu Recht zurückgezogen hat. Nicht nur Peter Guillam zieht eine Bilanz seiner Zeit als Spion, nicht nur Smileys Vorhang fällt ein letztes Mal - man denkt, es müsste erneut ein eiserner Vorhang sein -, sondern auch John le Carré verabschiedet sich hier klug und nachdenklich aus dem Kreis der Circus-Mitarbeiter und ihrer kalten Welt.

Oder mit einem Wort: brillant.