Amüsant und tiefgehend zugleich

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fraupfeffertopf Avatar

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Aus Henrys aka Henriettas aka Zwiebels Sicht lernen wir John Brown kennen: einen wüsten religiösen Fanatiker und Idealisten, der zugleich liebenswürdig, aber auch brutal sein kann und stets darauf bedacht ist, keinen Bibelvers auszulassen, während er seinen Gegnern den Garaus macht.
Anfangs ist Henry eine Art Glücksbringer für Brown und seine überschaubare Armee, doch die Beziehung zwischen Henry und Brown wird im Laufe der Geschichte enger und freundschaftlich.
Und auch Henry macht eine Verwandlung durch und ist weitaus mehr als man anfangs denken mag, mehr als ein kleiner geretteter Junge aus den Fängen der Sklaventyrannei. Fokussiert man Henrys Entwicklung, könnte Henry ein Symbol für alle Farbigen darstellen: Henry widerspricht zunächst dem alten Herrn nicht und versucht die Verwechslung als ein Mädchen klarzustellen. Seine Sicht auf die Sklaverei ist weder schwarz noch weiß, die Sklavenhalter sind weder gut noch böse - alles ist lediglich ein Teil von Henrys Leben, so ist er aufgewachsen. Später entledigt sich Henry seinem vorteilhaften Mädchengewand, in welchem er sich geschützt fühlt. Er zeigt Mut und findet schließlich seine eigene Identität.

McBride ist die Balance zwischen dramatischer Historie und Humor gelungen. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Grenze zur Lächerlichkeit oder Respektlosigkeit gefährlich nah wäre.
Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford ist eine erfrischende und zugleich ungehobelte Perspektive auf einen finsteren Abschnitt der amerikanischen Geschichte. Die Sprache im zeitgemäß rauen "old-country-style" zieht sich durch das Buch und macht neben dem bunten Mix an authentischen Charakteren die Geschichte lebendig - beispielsweise treffen Henry und Brown auf ihrer Reise auf interessante Persönlichkeiten wie Harriet Tubman oder Frederick Douglass und lernen ihre politischen Sichtweisen und (speziell Douglass' wohl karikative) Eigentümlichkeiten kennen. Selbst einige vermeintlich unwichtige Nebencharaktere haben mich zum Schmunzeln gebracht, aber auch traurig oder nachdenklich gestimmt, wie die Geschichte um die Sklavin Sibonia. Ihr Zorn und ihre Verzweiflung sind, verständlicherweise, unmerklich zu spüren, sodass auch Henry eine andere Seite kennenlernt. Dieses Zusammentreffen gab Henry wohl einen wichtigen Anstoß auf dem Weg zur Identitätsfindung.

Das Buch bietet so viel mehr, als eine reine Nacherzählung. In der Geschichte ist eine große Bedeutung verankert. So finden sich auch diverse moderne Denkweisen wieder. Henry begreift bereits zu seiner Zeit, dass das Innere wesentlich wichtiger ist und nicht so wie das Gemeinvolk deklariert, die äußere Hülle ein größeres Gewicht besitzt.
Während des Lesens stelle ich mir vor, wie ein in die Jahre gekommener Mann, dem das Leben gezeichnet hat, rückblickend erzählt - eine starke Erzählstimme mit einer nicht minder starken Persönlichkeit, die zum Zuhören verleitet.
Bisher hat mich noch kein Buch so oft dazu angestiftet, meinem Interesse nachzugehen und Recherchen über historische Begebenheiten und Personen anzustellen.
Die Auszeichnung mit dem National Book Award ist wohlverdient, denn ich finde die Geschichte beeindruckend.