Leider nur Mittelmaß

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dreamworx Avatar

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1939 Krakau. Als Marie Karska zwei Jahre alt war, ist die Mutter spurlos verschwunden. Nun im Alter von 17 Jahren will Marie unbedingt mehr über sie herausfinden, vor allem den Grund ihres Verschwindens. Ihr Vater, der Chirurg Dominik Karska, gibt ihr weder Antworten auf ihre Fragen noch nennt er ihr den Namen ihrer Mutter. Lieber möchte er seine Tochter in diesen unruhigen Zeiten baldmöglichst aus Sicherheitsgründen verheiraten. Das will Marie auf keinen Fall, denn sie möchte lieber Medizin studieren und mit ihrer Jugendliebe, dem Juden Ben Rosen, zusammen sein. Obwohl sie ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Vater hat, öffnet Marie eines Tages mit Hilfe einer Haarnadel dessen verschlossenes Schlafzimmer, um dort endlich die gewünschten Informationen über ihre Mutter zu finden…
Rachel Givney hat mit „Das verschlossene Zimmer“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der den Leser zum einen in das düstere Kapitel deutscher Geschichte zurückreisen lässt, zum anderen die distanzierte Beziehung zwischen Rachel und ihrem Vater zeichnet und ein altes Familiengeheimnis ans Tageslicht bringt. Der flüssige und bildhafte Erzählstil lässt die alte Zeit wieder lebendig werden und vor dem Auge des Lesers entstehen. Der Einmarsch der Nazis in Polen steht kurz bevor, die Bevölkerung ist bereits in Alarmbereitschaft, spaltet sich in unterschiedliche Lager. Währenddessen will Maries Vater Dominik seine Tochter in Sicherheit wiegen. Als Arzt ist er hingebungsvoll und engagiert, doch ansonsten lebt er recht zurückgezogen. Auch die Beziehung zu seiner Tochter Marie wirkt eher kühl und distanziert, die beiden haben sich kaum etwas zu sagen. Interessanterweise ist Dominik Maries Vorbild, auch sie will Ärztin werden und der Einbruch in sein Schlafzimmer kommt für sie einem Vertrauensbruch ihm gegenüber gleich, obwohl er ihr jahrelang alles über ihre Mutter verschwiegen hat. Mit Maries Wunsch, Medizin zu studieren, zeigt die Autorin die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten auf, denn Frauen wurde damals ein Studium weder zugetraut, noch waren sie an den Universitäten zugelassen oder erwünscht. Sollte es doch eine die Aufnahmeprüfung schaffen, wurde sie danach von ihren männlichen Kollegen regelrecht tyrannisiert. Interessant ist auch Maries Hartnäckigkeit, mit Ben einen Juden zu ehelichen, obwohl sie weiß, was das für sie zu jener Zeit bedeutet, zumal die Autorin diese Epoche mehr als bildhaft und grausam detailliert beschreibt. Schön eingeflochten sind die Riten und Gebräuche des Judentums, wobei diese ruhig ausführlicher hätten sein können. Der Spannungslevel ist allein durch den geschichtlichen Hintergrund ein ständiges Auf und Ab mit einigen Längen.
Die Charaktere sind gut ausgestaltet und in Szene gesetzt, der Leser folgt ihnen gern, obwohl zu ihnen leider von Beginn an eine Distanz herrscht, die sich auch im Verlauf des Buches nicht auflöst. Marie ist eine naive, neugierige junge Frau, die sich keinerlei Gedanken darüber macht, was andere von ihr denken. Gleichzeitig wirkt sie mit ihren unbedachten Handlungen trotz ihrer Intelligenz manchmal ignorant oder auch strohdumm, wenn man den politischen Hintergrund bedenkt. Vater Dominik ist ein Mann, der zwar präsent ist, sich aber von der Außenwelt abschottet. Zudem hat er gegenüber den äußeren Umständen eine neutrale Haltung, die man schon fast rückratslos nennen könnte. Ben bleibt leider völlig farblos, während andere Protagonisten mit Menschlichkeit und Wärme punkten können.
„Das verschlossene Zimmer“ ist ein durchaus unterhaltsamer Roman vor historischem Hintergrund, der neben einem alten Geheimnis auch eine Liebesgeschichte beinhaltet. Leider wachsen einem die Charaktere nicht ans Herz, so dass der Roman nur eine eingeschränkte Leseempfehlung verdient.