Theatralischer als ein Theaterfestival!

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laberlili Avatar

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… ja, da wurden 1994 während des ersten Theaterfestivals von Orphea mehrere Menschen umgebracht und ja, da verschwindet eine Journalistin, die meint, dass damals der falsche Täter überführt worden war, kurz bevor das Theaterfestival sein 20. Jubiläum feiert – aber Theaterfestival damals, Theaterfestival heute: Darum muss doch nicht einfach jeder und alles in und um den Ort herum derart theatralisch sein, wie es in diesem Roman letztlich ist?!

Ich hatte mich so sehr auf diesen neuen Roman von Joël Dicker gefreut, zumal der Romananfang, der mir zunächst als Leseprobe vorgelegen hatte, wiederum für mich erfreulich im „französischen Stil“ erzählt war, dem in meinen Augen immer etwas so absolut Bezauberndes anhaftet. Doch jener Zauber verflog nach nur wenigen Kapiteln bereits: Plötzlich wurde in „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ sehr viel mehr geredet als dass eine Geschichte erzählt wurde. Sollte dieses Buch je verfilmt werden, hat der mit der Adaption betraute Drehbuchautor einen sehr leichten Job zu erledigen.
Es gab immer wieder Zeitenwechsel; ständig wurde vor Allem eben auf 1994 zurückgeblickt, ehe man doch wieder ins gegenwärtige 2014 schaltete. Auch die Perspektive wechselte ständig und das heißt, dass so manches Mal nach drei Absätzen eine andere Figur von einem anderen Ort aus sprach und tja, manchmal fungierten die Buchfiguren selbst als Erzähler und manchmal gab es wiederum einen neutralen Erzähler. Persönlich hatte ich zwar keinerlei Schwierigkeiten, in diesem Konglomerat die Übersicht zu behalten; somit blieben einem sämtliche Figuren allerdings aber eher unvertraut und die, welche man (besser) zu kennen glaubte, warteten später oftmals auch noch mit seltsamen Anekdoten und Lebensgeschichten auf. Hier schien es keinen ganz gewöhnlichen Durchschnittsmensch zu geben; ich will nicht zu viel vorwegnehmen und keinesfalls spoilern, darum nur so viel: Wer nicht aus sonsteinem Grund traumatisiert war, hatte offensichtlich einfach nur so einen Schuss weg – mir war schließlich relativ egal, was hinter den damaligen Morden steckte und was genau Stephanie Mailer widerfahren war; zum Schluss hin habe ich eher die Personen abgezählt, aus deren Leben bislang noch kein schmutziges Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangt war. Für mich war da die Frage viel weniger: „Wer zeichnet für die Morde verantwortlich?“ als vielmehr: „Wer hat noch mehr Leichen im Keller, wieviele und was für welche?“

Mir war die Geschichte schließlich sehr an den damaligen Morden und Stephanie Mailers Verschwinden vorbeigeschrieben, dass es mich nicht verwundert haben würde, wäre am Ende alles offengeblieben, obschon es irgendwann auf eine absolut genretypische Auflösung zuzusteuern schien (und jene zum Schluss auch erreichte; die Identität des Täters wusste also nichtmals ansatzweise zu überraschen). Dabei wurde letztlich einmal mehr die „Genialität“ der Ermittelnden hervorgehoben, obschon sie meiner Meinung nach eher auf gut Glück im Dunkeln herumgestochert und lediglich Zufallstreffer gelandet hatten.

Persönlich sehe ich es vor Allem problematisch an, dass „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ sich sowohl in der Kurzbeschreibung als auch im Buchanfang noch viel zu sehr als der Krimi aufdrängt, welcher der Roman aber gar nicht ist: Vielmehr ist dies ein reichlich überzogenes, in den idyllischen Hamptons spielendes, Sozialdrama, das in meinen Augen aber auch als solches noch krass überzogen ist und grade darum teils bloß wie eine Persiflage auf typische Plots wirkt. Ich war da teils sehr verwirrt, ob ich Dicker nun noch als Autor ernsthafter Literatur oder doch bereits als Satiriker ansehen sollte. Während des letzten Buchdrittels habe ich wenn auch eher unbewusst sicherlich begonnen, „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ eben eher als Satire anzusehen und fand den Roman derart betrachtet zwar okay, aber ich hatte im Vorfeld eben definitiv etwas Anderes als eine überspannte Satire, prallgefüllt mit ebenso überzogenen Figuren, erwartet…

Wie gesagt: Als reichlich persiflierendes Sozialdrama geht das ganze Geschehen rund ums „Verschwinden der Stephanie Mailer“ für mich schon in Ordnung; ich werde sicherlich auch jedes weitere Buch Dickers gespannt erwarten, aber „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ war für mich nun zwar kein totaler Griff ins Klo, blieb in meinen Augen jedoch weit hinter den bisherigen Romanen Joël Dickers zurück. Sehr weit. Eine echte Empfehlung würde ich hierfür nicht guten Gewissens abgeben können; andererseits würde ich mich nicht gut dabei fühlen, konsequent von dieser Lektüre abzuraten. Man sollte meiner Meinung nach allerdings im Vorfeld besser ganz klar auf starke Übertreibungen und absolut erfüllte Klischees eingestellt sein!