Eine ungewöhnliche Frau und ihr Leben für die wild lebenden Vögel

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Was für ein feines liebevolles Buchcover. Man möchte das Bändchen aufbinden und die alten Aufzeichnungen durchblättern.

Mit einer zarten, leisen und bezaubernden Geschichte holt die Holländerin Eva Meijer mit ihrem Roman "Das Vogelhaus" die  britische Violinistin und Vogelkundlerin Gwendolen ("Len") Howard aus der Vergessenheit zurück. Die Schriftstellerin und Philosophin Eva Meijer ist während ihrer Doktorarbeit über tierische Kommunikationsformen auf Howards Arbeiten gestoßen.

Len Howard wird 1894 als jüngstes von vier Kindern in eine wohlhabende, musische Familie geboren. Ihr Vater, der Dichter Henry Newman Howard, legt schon in Lens Kindertagen den Keim zu ihrer Liebe und dem Interesse zu freilebenden Vögeln, indem er mit ihr zusammen verwaiste Vogeljunge aufzieht. Gerade die Vogelgesänge faszinieren sie, ihre  Musikalität und feines Gehör bieten Ihr in den folgenden Jahren die Fähigkeit zu genauesten Beobachtung.

Gegen die für die Frauen ihrer Gesellschaftsschicht vorausgeplante Zukunft wehrt sie sich. Statt Ehe und Familie möchte sie ihre große musikalische Begabung ausleben. So verlässt die junge Frau ihre Familie in Wales und zieht  zunächst nach London, wo sie als Violinistin in einem Orchester spielt und Kindern aus finanziell schwachen Familien Musikstunden erteilt. Trotz ihrer musikalischen Karriere fühlt sie sich in London unter dem Tratsch der Musikerkollegen, den städtischen Lebensbedingungen und dem Zusammensein mit dem untreuen Liebhaber nicht wirklich ausgefüllt. Schließlich nimmt das Leben dort ihr schier den Atem.

So  schlägt sie eine gänzlich andere Richtung für den Rest ihres Lebens ein, indem sie 1939 im kleinen ländlichen Örtchen Ditchling / Sussex ein bescheidenes Häuschen erwirbt. Luft zum Atmen gibt es genug - die Fenster werden meist offen stehen. Herein fliegen Meisen, Rotkehlchen, Amseln... die bald Möbel, Teppiche und Kleidungsstücke zum Nisten verwenden. Lens Verhältnis zu den Vögeln ist ein sehr enges, sie leben praktisch in einer offenen Hausgemeinschaft. In den Kriegsjahren teilt sie ihre knappen Kriegsrationen mit ihnen.

Während Len Howard zunehmend einsiedlerisch lebt, auch um ihre gefiederten Freunde zu schützen, schreiten ihre genauen Vogelbeobachtungen voran. Sie veröffentlicht Artikel in Zeitschriften für Naturfreunde und schreibt zwei Bücher, die auch in andere Sprachen übersetzt werden. Aus ihren Beobachtungen schließt sie, dass nicht nur der reine Instinkt, sondern auch individuelle Intelligenz bedeutsam für das Verhalten der Vögel ist.

Ihre Art der Beobachtung entspricht nicht den damals üblichen naturwissenschaftlichen Methoden, was ihr von dieser Seite Kritik einbringt. Als Nichtwissenschaftlerin und zudem als Frau einen gänzlich anderen Ansatz zu verfolgen - ohne Käfige, Gefangenschaft, Labor und Versuche - erfordert Mut und Selbstbewusstsein.

1973 stirbt sie in Ditchling.

Das Vogelhaus
Der Roman wird durchzogen von Len Howards Verhaltensbeobachtungen ihrer Lieblingsblaumeise "Sternchen" ("Star" im Original), die sogar das Zählen lernt. Das sind wunderbare Beispiele aus ihrem Schaffen, denn ihre Bücher sind leider nur noch antiquarisch und dann auch nur schwer zu finden.

Es ist interessant, ein bisschen über die Jugendzeit Len Howards zu erfahren, die Zeit in London hätte ich mir im Roman lieber etwas gestraffter gewünscht. Allerdings konnte ich so dann auch den Schlussstrich, die Wendung sehr deutlich nachvollziehen.
Mir hat gefallen, dass Eva Meijer die Naturforscherin Howard, die ja recht drastisch den Lärm und die Störungen der Außenwelt von ihrem "Bird Cottage"  fern hielt, nicht als Exzentrikerin dargestellt hat, sondern als eine exakte, leidenschaftliche Beobachterin. Ihr Ansatz, der in anderer Form auch von Konrad Lorenz vertreten wurde (aber Mann und Wissenschaftler), brauchte noch Jahrzehnte, bis er als gleichwertig anerkannt wurde.
Über die gefiederten Protagonisten hätte ich gern noch viel mehr gelesen. Am liebsten würde ich gleich die Nase in die (leider vergriffenen) Bücher Len Howards stecken. (Vielleicht werden sie ja mal neu aufgelegt?)

Ein bezauberndes Buch über eine außergewöhnliche, zu Unrecht vergessene Naturforscherin und ihr Verhältnis zu freilebenden Vögeln. Beim Lesen wirkt es ungemein entspannend. Dann aber hat man Lust, sich in die Natur zu begeben und die Vogelschar zu beobachten, sich in Tierkommunikation einzulesen.

Wer Tiere und Natur liebt, sich für mutige Frauen interessiert, die andere Wege gehen, wird viel Freude an diesem wunderbaren Buch haben.